CHRISTIAN BUSS DER WOCHNENDKRIMI: Ein Albtraum in Kajal
David Fincher, übernehmen Sie! Bevor sich der amerikanische Paranoiagroßmeister („Fight Club“) mit Daniel Craig für Hollywood an die Wiederaufbereitung von Stieg Larssons „Millennium“-Trilogie macht, können sich die wenigen, die noch keine Meinung zum Bestsellerautor des Bizarren haben, ausgiebig ein eigenes Urteil bilden: Das ZDF meldete sich rechtzeitig als Koproduzent an und zeigt die drei Kinofilme nun in Extended Versions zu je zweimal neunzig Minuten. Und man weiß nach ein paar Augenblicken, weshalb Fincher so begeistert von dem Stoff ist: Schweden sieht dort aus wie seine Albtraumversion von Amerika.
Im Vergleich zu all den anderen Schwedenkrimis, die das ZDF sonntags ausstrahlt, wird hier gänzlich auf den typischen skandinavischen Realismus verzichtet, den wir eigentlich so schätzen. Die Settings sind atmosphärisch aufgeladen, die Hauptfiguren überzeichnet. Da ist der Journalist Mikael Blomkvist (Michael Nyqvist): Ausgerechnet von einer schummrigen Drei-Mann-Redaktion aus hält er mit investigativen Artikeln ganz Schweden in Atem – schwer vorstellbar. Da ist Lisbeth Salander (Noomi Rapace), gepiercte Einzelgängerin, die im Büro ihres gesetzlichen Vormunds immer wieder dessen sadistischen Trieben ausgesetzt ist – noch schwerer vorstellbar. Leben wir immer noch in einer Zeit, in der sexuell traumatisierte junge Filmheldinnen kajalumflort und punkfrisiert wie Juliette Lewis in ihren düstersten Tagen durch die Gegend wüten müssen?
Wie in der an diesem Wochenende beginnenden „Millennium“-Reihe (Regie: Niels Arden Oplev) um dieses betont bizarrste Ermittlerpaar der schwedischen Krimigeschichte Psychothrillerversatzstücke der achtziger und neunziger Jahre zusammengeschraubt werden, ist schon recht gewagt. Egal, das ZDF wird mit der extralangen Version der Trilogie vermutlich die besten Quoten eines späten Sonntagabends einfahren.■ „Stieg Larsson: Verblendung“, Sonntag, 22.00 Uhr, ARD
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