„Obdachlosigkeit wird wieder zunehmen“

Steigende Mieten werden viele Menschen in Zukunft die Wohnung kosten, sagt fifty-fifty-Chefredakteur Ostendorf

taz: Noch nie gab es so wenig Wohnungslose im Land, sagt das NRW-Familienministerium. Können auch Sie Entwarnung geben?

Hubert Ostendorf: Sicherlich gibt es diesen rückläufigen Trend. Aber die Kommunen drehen auch an den Zahlen. Offiziell gilt derjenige als obdachlos, der keinen Mietvertrag besitzt. Einige Städte zählen aber Menschen in Notunterkünften und Heimen, die nur einen Nutzungsvertrag haben, nicht mehr dazu. Dabei sind sie faktisch ohne eigene vier Wände.

Woran sehen Sie den positiven Trend in Düsseldorf?

Wir haben in den vergangenen zehn Jahren dreitausend Menschen eine Wohnung vermittelt. Das ist enorm, ungefähr nur noch halb so viele Menschen wie früher leben auf der Straße.

Haben wir also in fünf Jahren keine Menschen mehr auf der Straße?

Im Gegenteil. Ich glaube, dass sich der Trend wieder umkehren wird. Weil das Wohnen insgesamt viel mehr kosten wird in Zukunft.

Wieso? Der Mietmarkt ist doch entspannt.

Ja. Aber nicht mehr lange. Die Zinsen steigen wieder an, das heißt, weniger Leute können sich Wohnungen oder Häuser kaufen. Sie bleiben also im Mietmarkt. Gleichzeitig fallen viele Sozialwohnungen aus der Bindung, das Land verkauft die günstigen Wohnungen der Landesentwicklungsgesellschaft. Und die so genannte dritte Miete, Strom und Heizung, wird für viele unbezahlbar. Ich kenne viele Menschen in Düsseldorf, denen der Strom abgestellt wurde, weil sie die Rechnungen nicht mehr begleichen konnten.

Aber der Staat gibt doch Wohngeld.

Viel zu wenig. In Düsseldorf zum Beispiel sollen sich Hartz-Empfänger eine Wohnung mit einer Warmmiete von 6,50 Euro suchen. So eine Wohnung muss hier in der Landeshauptstadt erst erfunden werden, die gibt es nämlich nicht. Wir sehen das an unserer Wohnraumbörse. In Düsseldorf gibt es zwar Wohnungen, die sind aber zu teuer. Im Ruhrgebiet sind die Mieten niedriger, aber da sind die Menschen auch noch ärmer.

Was können die Städte denn noch tun? Mehr Sozialwohnungen bauen?

Das auch, sie sollten aber vor allem die Kürzungen bei den Streetworkern, der Obdachlosenspeisung und unseren Straßenmagazinen wieder zurück nehmen. Auch bei sinkenden Zahlen brauchen wir diese Angebote. Wir können uns nicht auf den Lorbeeren ausruhen.

INTERVIEW: ANNIKA JOERES