Griechenland ist unmenschlich

GERICHTSHOF FÜR MENSCHENRECHTE Weil Griechenland Flüchtlinge erniedrigend behandelt, dürfen EU-Staaten jetzt keine Flüchtlinge mehr dorthin zurückschicken

Pro Asyl: Die Entscheidung ist eine „Sternstunde für die Menschenrechte“

VON CHRISTIAN RATH

FREIBURG taz | Abschiebungen nach Griechenland verstoßen derzeit gegen europäisches Recht. Dies hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte am Freitag in einem Fall aus Belgien festgestellt. Griechenland behandele Flüchtlinge unmenschlich und erniedrigend. Pro Asyl sprach von einer „Sternstunde für die Menschenrechte“.

Geklagt hatte ein Flüchtling aus Afghanistan, der nach eigenem Angaben dort für westliche Truppen als Übersetzer gearbeitet hatte. Nach einem Mordanschlag der Taliban floh er über den Iran und die Türkei nach Griechenland, wo er im Dezember 2008 ankam. Er reiste dann weiter nach Belgien, weil er mit belgischen Nato-Soldaten gute Erfahrungen gemacht hatte. In Belgien stellte er im Februar 2009 erstmals einen Asylantrag.

Nach der Dublin-II-Verordnung der EU ist für das Asylverfahren jedoch das EU-Land zuständig, über das der Flüchtling einreiste, also Griechenland. Dorthin wurde der Afghane im Juni 2009 zurückgeschickt. Am Flughafen von Athen wurde der Mann zunächst einige Tage inhaftiert und dann auf die Straße gesetzt. Seitdem lebt er mit anderen afghanischen Flüchtlingen unter freiem Himmel in einem Park in Athen. Das Asylverfahren hat noch nicht mal begonnen.

Griechenland wurde nun verurteilt, weil es den Flüchtling unmenschlich behandelte. Vorgeworfen wurden Griechenland zum einen die Bedingungen im Haftzentrum am Flughafen, wo sich zwanzig Flüchtlinge eine Zelle teilten, wenig zu essen bekamen und auf dem Boden oder einer schmutzigen Matratze schlafen mussten. Außerdem sei das Land auch für die späteren Lebensbedingungen verantwortlich, weil es keine Übernachtungsmöglichkeit angeboten und das Asylverfahren nicht beschleunigt hatte. Griechenland argumentierte vor Gericht, der Afghane habe versäumt, der Polizei eine Adresse mitzuteilen. Doch wie hätte er dies tun können, da er doch obdachlos war? Der Gerichtshof verwies auf griechische Angaben, dass für zehntausende Asylbewerber ohnehin nur rund tausend Unterkunftsplätze zur Verfügung standen.

Verurteilt wurde aber auch Belgien. Die Mängel des griechischen Asylverfahrens und die erniedrigenden Haftumstände seien der belgischen Regierung durchaus bekannt gewesen. Die Dublin-II-Verordnung hätte auch den Verzicht auf eine Abschiebung erlaubt. Indem Belgien den Afghanen trotzdem nach Griechenland zurückschickte, sei er auch von Belgien unmenschlich behandelt worden. Der Mann erhält nun von Belgien 24.900 Euro und von Griechenland 1.000 Euro Schadenersatz.

Da sich die Verhältnisse seit 2009 kaum verbessert haben, fordert Pro Asyl nun alle europäischen Staaten auf, bis auf Weiteres keine Flüchtlinge nach Griechenland zurückzuschicken. Deutschland hatte dies bereits vorige Woche beschlossen, um einer Verurteilung durch das Bundesverfassungsgericht zuvorzukommen (siehe taz v. 19. 1.).

Europaweit nützt das Straßburger Urteil einigen tausend Flüchtlingen, die aus Griechenland in andere Staaten weitergeflohen sind. Auch ermutigt es Flüchtlinge, die noch in Griechenland warten, weiterzuwandern. Az.: 30696/09