Allianzen, Alliierte

Die Erfolge der Focus-Abwehraktionen halten sich in Grenzen: Aus der Idee, den Kultur-Spiegel zu einem eigenständigen, separat verkauften Magazin zu machen, wurde bisher wenig – gerade mal ein einziges Heft („Stars – Wie aus Menschen Idole werden“) schafft es im Jahr 2004 an die Kioske. Spiegel Spezial wird 1999 zum Reportagemagazin (Spiegel Reporter) umfunktioniert, aber Ende 2000 wieder eingestellt. Seit Oktober 2001 erscheinen unter dem alten Titel wieder monothematische Sonderhefte, die jetzt zum Teil aus Zusammenfassungen von Spiegel-Serien aus dem Hauptblatt bestehen.

Deutlich erfolgreicher ist dagegen Spiegel Online. Die Internetversion des Spiegel wurde 1994 gegründet und verzeichnete im April 2006 nach eigenen Angaben 55 Millionen Visits und 293 Millionen Page-Impressions. Damit ist Spiegel Online eines der reichweitenstärksten Onlineangebote im deutschsprachigen Raum.

Schon vor dem Focus-Schock gelingt dem Spiegel der Einstieg ins TV-Geschäft. Bei der Einführung des Privatfernsehens in Deutschland wird den großen Kommerzsendern vorgeschrieben, Programmfenster für sogenannte „unabhängige Dritte“ freizuhalten. Schon 1988 startete „Spiegel TV Magazin“ als solch ein „Dritter“, moderiert vom ehemaligen NDR-Journalisten Stefan Aust.

1990 wird die Spiegel TV GmbH als hundertprozentige Tochter des Spiegel-Verlages gegründet, Geschäftsführer ist bis heute Stefan Aust. Aktuell laufen sechs verschiedene Spiegel-TV-Formate bei den Privatsendern RTL, Sat.1 und Vox. Über Spiegel TV ist der Spiegel auch an den Produktionsfirmen Aspekt Telefilm und a+i beteiligt. a+i produziert unter anderem die „Johannes B. Kerner“-Show im ZDF. Und es sind vor allem die elektronischen Töchter, bei denen Kritiker früh einen Niveauverfall im Spiegel-Reich ausgemacht hatten.

1994 macht Rudolf Augstein – auch dies eine Folge des Focus-Schocks – den Spiegel-TV-Chef Stefan Aust gegen anfänglichen Widerstand vieler MitarbeiterInnen zum Spiegel-Chefredakteur. Aus dem „Sturmgeschütz der Demokratie“ (Augstein über den Spiegel) wird unter Aust ein Blatt, das neoliberalen Tendenzen nicht abgeneigt ist und im Bundestagswahlkampf 2005 unverhohlen für die Union und ihre Kanzlerkandidatin Angela Merkel trommelt.

Für viel Irritation sorgt auch das gemeinsame Vorgehen von Aust mit Springer und der FAZ gegen die Rechtschreibreform. Ohnehin hat Aust dem Spiegel in Sachen Springer die Zähne gezogen: 2005 findet sich zur geplanten Übernahme der Privatsendergruppe ProSiebenSat.1 durch die Springer AG kaum Kritisches im Blatt. Aust, so Insider, mache sich Hoffnungen auf den Posten als TV-Vorstand beim neuen Medienriesen. Das Kartellamt lässt den Deal platzen.

Aust hat bisher Kritik an Amtsführung wie Ambitionen abblocken können. 2007 stehen aber tief greifende Veränderungen ins Haus: Spiegel-Verlags-Geschäftsführer Karl Dietrich Seikel, den Augstein noch selbst eingestellt hatte, geht. Sein Nachfolger wird Mario Frank, der von einer G + J-Tochter kommt. Und auch Spiegel-Hauptstadtbüro-Chef Gabor Steingart, der bislang als möglicher Aust-Nachfolger gehandelt wird, drängt nach mehr Macht: Er kandidiert für den Geschäftsführerposten bei der Mitarbeiter-KG. STEFFEN GRIMBERG