Krank, eigenwillig und begehrt

Das Museum der Stadt Ratingen zeigt „Die anderen Bilder“ – Kunst von Outsidern und so genannten psychisch Kranken

VON PETER ORTMANN

Der kurze Weg von der Therapie in den Kunstmarkt begann für Geisteskranke bereits vor einhundert Jahren. Ihre Bilder waren merkwürdig genug, um gesammelt und aufbewahrt zu werden. Allerdings nur von Anstaltsärzten und Liebhabern. Die Ausstellung „Die anderen Bilder – Outsider und Verwandtes aus der Sammlung Hartmut Neumann“ im Museum der Stadt Ratingen zeigt annähernd 150 Arbeiten von 68 Künstlerinnen und Künstlern aus der umfangreichen Sammlung des in Köln und Braunschweig lebenden Kunstprofessors.

Die meist kleinformatigen Werke füllen immerhin vier Räume, und der Besucher muss deshalb ein wenig Zeit mitbringen. Nicht nur wegen der Menge, auch wegen der sehr unterschiedlichen Bildinhalte. Manche Arbeiten erschließen sich erst auf den vierten Blick. Entweder sind sie von wirrer Fülle, wie Mario Olmes „Stadt“ (2000) in Blei, oder von einfacher Unverständlichkeit wie August Wallas „Kugelschreiberzeichnung über die hellblaue Schwimmhose“.

Art Brut

Outsider-Kunst und Art Brut sind begriffsidentisch. Sie bezeichnen Arbeiten von psychisch Gestörten (Adolf Wölfli, 1864-1930) oder gesellschaftlichen Außenseitern (Henry Darger), die meist autodidaktisch außerhalb des Kunstsystems entstanden sind. Eigentlich geht es in dieser Stilrichtung, die 1945 der französische Maler Jean Dubuffet schuf, um „rohe, unverfälschte Kunst“. Der ehemalige Weingroßhändler war damals auf der Suche nach den Ursprüngen der Kunst, suchte die unverbrauchten Künstler, die nie eine Kunstausbildung genossen hatten. Er fand sie in den schweizerischen Anstalten für Geisteskranke, wo die außergewöhnlichen Werke der Insassen bereits seit den 1920er Jahren gesammelt wurden. Heute ist die von der Öffentlichkeit immer noch zu selten wahrgenommene Schublade etabliert. August Walla ist inzwischen selbst auf der Art Cologne vertreten. Und seine Bilder sind nicht gerade preiswert.

In Ratingen wurde die Ausstellung zusätzlich mit Arbeiten zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler ergänzt, die in der Gegenüberstellung mit den Outsidern deren hohe künstlerische Qualität deutlich machen. Andersherum zeigen die Outsider, wie sehr sie die „richtigen“ Künstler beeinflusst haben. Darunter etwa 1980er-Jahre-Kunstmarktstars wie Peter Bömmels oder Jürgen Klauke. Manchmal verschwinden auch die Grenzen, wie bei dem verstorbenen Kölner Maler Blalla W. Hallmann (1941-1997), den in den 1970ern eine paranoid-halluzinatorische Psychose quälte, die er aber überwinden konnte. Seine bösen, witzigen, provozierenden Bilder gegen Nazis, Kirche und Amerika ließen in der Vergangenheit sogar Museumsdirektoren stürzen. Unvergessen seine Ausstellung 1991 in der Kölner Galerie Zwirner mit großformatigen Hinterglasbildern auf alten Fenstern. Damals soll die katholische Kirche sogar Werke gekauft haben, um sie in Depots verschwinden zu lassen. In Ratingen hängt aus dieser Ausstellung das Werk „Tod in der Wüste“, das Gänsegeier zeigt, die unter einem sprudelnden Ölbohrloch Micky Maus zerstückeln.

Stille Psyche

Ganz anders sind die Arbeiten von Oswald Tschirtner, Johann Hauser oder Sava Sekulic. Sie sind leicht, still und undurchschaubar. Tschirtner stammt aus der berühmten Nervenklinik in Gugging. Irgendwann in den 1960er Jahren begann er zu zeichnen. Meist geht er von der Darstellung von Kopffüßlern aus. Im Laufe der Zeit schuf er eigenständige Varianten dieses Themas. Er zeichnet minimalistisch mit Stiften auf kleinen Papieren, aber auch mit Edding auf Leinwand. Seine Bleistift-Arbeit „Betende Menschen“ von 1983 zeigt serielle Kopffüßler mit einem Kreuz darüber.

Bis heute wird die Kunst der Outsider oft belächelt, ihr Platz in der Kunstgeschichte, trotz Dubuffet, nur im Zusammenhang mit etablierten Künstlern akzeptiert. Dennoch gibt es viele Sammler wie Hartmut Neumann, die diese Arbeiten zu Recht schätzen. Und es gibt die Auswüchse des Kunstmarkts, der sich einzelne Outsider herausgepickt und dann zu Geld gemacht hat. Die Therapie durch Kunst ist heute anerkannt. Überall tauchen deshalb neue, interessante Arbeiten auf. Doch wie muss das früher gewirkt haben, als P. Hillermann sein kotzendes Paar (Foto) 1910 auf die Pappe brachte?

Bis 14. Januar 2007Infos: 02102-550-41801