Nacht der Funken und Schrecken

Jugendliche führen Silvester regelrechte Bandenkriege und verkennen dabei die Verletzungsgefahr. Die Feuerwehr hat deshalb eine Kampagne gestartet und rüstet sich bereits für die vielen Einsätze

VON PLUTONIA PLARRE

Umgeben von funkensprühenden Raketen streckt ein Jugendlicher seine Hand ins Bild. Der kleine Finger und der Ringfinger sind bis zum unteren Glied amputiert. „Tipps für schmerzfreies Böllern“, heißt die Informationsbroschüre, in der die Feuerwehr zum Jahreswechsel mit Fotos wie diesem aufwartet. Mehrere tausend Exemplare in deutscher, türkischer und arabischer Sprache sind den vergangenen Wochen vor allem in Schulen und Jugendzentren unter das Volk gebracht worden.

Adressaten sind 14- bis 20-Jährige, genau die Altersgruppe also, die nach Erfahrung der Feuerwehr mit Abstand am meisten ballert. „Ganz vorn sind die Bezirke Neukölln, Kreuzberg und Marzahn“, sagt Feuerwehrsprecher Wolfgang Rowenhagen. Die Rucksäcke voll mit Pyrotechnik, führten viele Jugendliche in der Silvesternacht regelrechte Bandenkriege durch. Einmal im Jahr die Sau rauslassen, so die Devise. „Geschossen wird auf alles, was sich bewegt“, weiß Rowenhagen. Auch Fensterscheiben, Telefonzellen und BVG-Wartehäuschen seien beliebte Objekte. Vorn in die Schreckschusspistole einen Feuerwerkskörper reingesteckt –schwupps sei die Scheibe in tausend Einzelteile zerlegt. Dass Schreckschusspistolen waffenscheinpflichtig seien, interessiere in dieser Nacht niemanden.

Die Feuerwehr wird rund 1.500 Mitarbeiter in Einsatz haben, etwa dreimal so viele wie sonst. Mit rund 1.000 Einsätzen rechnet die Feuerwehr, um Brände zu löschen und Verletzte ins Krankenhaus bringen. „Am schlimmsten ist es gegen null Uhr. Da herrscht bei uns Ausnahmezustand“, sagt Rowenhagen. Manche Leute seien da besser beraten, sich von einem Taxi oder Freunden ins Krankenhaus bringen zu lassen, weil es dauern könne, bis der Rettungswagen komme. „Das ist vermutlich auch der Grund, warum wir im Vorjahr keinen Einsatz wegen abgerissener Gliedmaßen hatten. Die Verletzten sind vermutlich allein ins Krankenhaus gefahren.“ Die schlimmste Verletzung, mit der es die Feuerwehr zu hatte, war die eines zweijährigen Kleinkindes. „Das Kind hat im Gesicht Verbrennungen zweiten Grades davongetragen, weil jemand einen Knallkörper in den Kinderwagen geworfen hat.“

Auch die Krankenhäuser bereiten sich auf einen Patienten-Ansturm in der Silvesternacht vor. In den Rettungsstellen werde zum Jahreswechsel das Personal verdoppelt, teilte eine Sprecherin der Charité mit. Die Augenklinik sowie die Abteilungen Traumatologie und Vergiftungen werden das Personal ebenfalls aufstocken. Im Vorjahr sei die Zahl der Behandlungen zu Neujahr bis auf etwa das Vierfache gestiegen. Vor allem Jugendliche verletzten sich mit Böllern und Raketen, sagte die Leiterin einer Rettungsstelle. Am häufigsten seien Hände, Gesicht, Augen und das Gehör betroffen. Dabei seien diese Verletzungen besonders tückisch: Das Ausmaß der Schädigung von Gefäßen, Sehnen und Knochen sei von außen oft nicht zu erkennen.

Seit Donnerstag dürfen Knaller und Raketen offiziell verkauft werden. „Da geht einiges über den Ladentisch“, freut sich der stellvertretende Geschäftsführer des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg, Günter Päts. Seit WM-Zeiten herrsche eine gute Konjunkturlage. „Wir rechnen mit einem Umsatzplus von 2 bis 5 Prozent“ im Vergleich zu 2005, sagte Päts. Das seien alles Signale dafür, dass auch zu Silvester „kräftig gefeiert wird“.