RUSSLAND: ALS AUFKLÄRERIN AN KATHARINA DIE GROSSE ANKNÜPFEN
: Putin auf die Pfoten schauen

Vertrauen ist gut, Kontrolle besser. Ein bisschen mehr davon täte Russland gut. Zumal Moskau Misstrauen für einen ureigenen Wesenszug hält und Lenins Verdikt nicht grundlos als ureigene Erfindung reklamiert – wie Fernsehen, Radio, Wodka und überhaupt alle zivilisatorischen Großleistungen.

Weniger Vertrauensseligkeit: Dem deutschen Ansehen würde es nützen. Denn wer in Russland immer nur „ja“ sagt, wird eher aus- denn ernst genommen. Und auch dem ewigen Lamento, niemand wolle und könne das russische Wesen verstehen, wäre der Boden entzogen – und Moskau dürfte nicht einmal klagen.

Noch aber läuft es anders: zum Vorteil des Kreml, der sich auf die Konvergenztheorie des Ost-West-Gegensatzes beruft: Systeme gleichen sich an – aber anders als vermutet. Die Autokratie des Ostens erweist sich Europas lahmer Verfahrensdemokratie überlegen. Deutsche Großunternehmen und Verbandsreisende beten das juristische Schattenreich gesund: Korruption muss nicht korrupt sein, ist so eine der hilfreichen Erkenntnisse für heimischen Gebrauch. Russlands Botschafter darf derweil zur öffentlich-rechtlichen Instanz aufsteigen und bei der Gästeauswahl der ARD ein Wörtchen mitreden: „Souveräne Demokratie“ nennt das der Kreml. Und Sabine Christiansen besiegelt die Ernennung – unter Umgehung des Parteienproporzes – mit einem Küsschen für den adretten Emissär hinter den Kulissen.

Mangelndes Verständnis aus der Ferne ist das heimliche Erfolgskonzept russischer Staatsplutokraten. EU-Ratspräsidentin Angela Merkel hat die Chance, mit der Tradition zu brechen und sich damit im Kreml Respekt zu verschaffen. Sie müsste sich von anachronistischen Leitlinien der Außenpolitik freimachen, nach denen Wohltaten für den eigenen Souverän anderen Völkern nicht gleichermaßen zustehen. Die Russen würden es ihr wirklich danken und sie eines Tages vielleicht gar in den Rang einer anderen hoch geschätzten Deutschen mit Ostmigrationshintergrund erheben: Katharina die Große.

KLAUS-HELGE DONATH, MOSKAU