Flut der Gefühle

WETTBEWERB Beim Wolfsburger Kunstpreis Arti dürfen sowohl professionelle Künstler als auch Amateure mitmachen. In der Ausstellung „Das haut mich um“ treffen nun die Arbeiten eines Maschinenbauers auf die einer Meisterschülerin

Das Übermaß an Emotionen, das wohl jeden durch die permanente Berieselung der Medien bedrängt, führt zum Kontrollverlust

VON BETTINA MARIA BROSOWSKY

Seit 2006 vergibt der Kunstverein Wolfsburg im Zweijahresrhythmus seinen Kunstpreis Arti, der sich an professionelle Künstler wie Amateure richtet. Voraussetzung ist, dass die Künstler ihren Lebensmittelpunkt in Wolfsburg haben. Der Preis ist in Wolfsburg ungebrochen beliebt: Auch in diesem Jahr gab es wieder über 50 Bewerbungen von Künstlern aller Altersgruppen. Eine Jury ermittelte daraus elf Kandidaten für die gemeinsame Ausstellung sowie drei Preisträger. Die Arbeiten sind derzeit in der Ausstellung „Das haut mich um“ im Kunstverein Wolfsburg zu sehen.

Auffällig ist, dass es Dauerkandidaten gibt, die zumindest gefühlt jedes Mal dabei sind. Dazu gehört der ehemalige kulturpolitische Sprecher der lokalen Grünen, Axel Bosse. Der Maschinenbau-Ingenieur des VW-Konzerns ist mit zwei Handy-Doppelporträt-Schnappschüssen dabei, die er in jeweils gut einen Quadratmeter große Malereien transformierte. Preiswürdig fand sie die Jury allerdings nicht.

Trotz des niederschwelligen Konzepts ist die Auslobung des Arti keineswegs anspruchslos. Die Einreichungen müssen ein vorgegebenes Thema reflektieren, das aus dem Jahresprogramm des Kunstvereins abgeleitet wird. Die Flut der Gefühle, also das Übermaß an Emotionen, das wohl jeden durch die permanente Berieselung der Medien bedrängt und kaum noch verarbeitet werden kann, sowie der manchmal daraus resultierende individuelle wie kollektive Kontrollverlust bilden die inhaltliche Klammer des aktuellen Jahresthemas. Das Wettbewerbsthema „Das haut mich um“ zielte nun auf eine persönliche Befragung.

Was also ist es, das die Wolfsburger konsterniert, verunsichert und künstlerisch bewegt? Die Gewinnerin des dritten Preises, die Kommunikationsdesignerin Esra Oezen – auch sie Mehrfachtäterin und 2012 die Gewinnerin des Preises – rätselt in einer konzeptuellen Arbeit über das Wort „dasselbe“. Sie füllt mit ihm viele A4-Seiten, streicht immer wieder unterschiedliche Teile durch und stellt schließlich fest: es wiederholt sich vieles, aber eben nicht alles.

Der zweite Preis ging an den 24-jährigen Fahrzeugtechniker Michael Taeger. Er befasst sich seit einigen Jahren autodidaktisch mit der Dokumentarfotografie, thematischer Schwerpunkt dabei: die Hinterlassenschaften der vormaligen Sowjetunion. 2014 war Taeger nun am Maidan. Die kollektive Kraft der Bevölkerung zur politischen Änderung fing er in einer 25-teiligen, eindringlichen Fotoserie ein.

Gewinnerin Thora Kraft, ehemalige Meisterschülerin der Kunsthochschule Braunschweig, mystifiziert ein fotografiertes Gemälde von El Greco nebst einigen bewundernden Betrachtern in einem komplizierten Druckprozess auf übermaltem Glas.

Gemeinsam ist den prämierten Arbeiten die Ernsthaftigkeit, mit der das jeweilige Thema angegangen wurde. Die Rückbindung der Kunst an die politischen und ökonomischen Systeme ihrer Entstehungszeit – das ist das programmatische Markenzeichen des Wolfsburger Kunstvereins und seiner Ausstellungslinie. Diese Saat scheint also auch in seinem Kunstpreis aufgegangen zu sein.

„Arti 2014: Das haut mich um“: bis zum 24. August, Kunstverein Wolfsburg