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Weltenordnung ohne Vergangenheit

Die Bonner ai-Hochschulgruppe bemängelt, dass die Ausstellung der Schätze aus der Tempelanlage Angkor Wat in der Bundeskunsthalle sich allein auf das materielle Kulturerbe Kambodschas konzentriert. Was fehlt, seien eine Einbettung der Schau in die jüngere Geschichte sowie die Menschenrechtslage

Als Symbole der nationalen Identität dienen die Anlagen der Selbstdarstellung

VON KATJA BEHRENS

Schon in den Sechzigerjahren des 19. Jahrhunderts hatte Frankreich begonnen, sich mehr und mehr Kolonien auch in Indochina zu sichern. Der französische Gouverneur schaffte zwar die Sklaverei ab, doch selbst unter französischem Protektorat schwelte der alte Konflikt zwischen Vietnam und Kambodscha weiter. Die Kolonialverwaltung, die im Zweiten Weltkrieg ihre Kolonien in Indochina an Japan abtreten musste, kehrte nach der japanischen Kapitulation 1945 auch nach Kambodscha zurück, das erst 1953 von Frankreich unabhängig wurde und schließlich 1954 die völlige Souveränität erlangte.

Schon 1970 aber fand sich das Land in einem Bürgerkrieg wieder, der letztlich auch ein Spiegel jener politisch-ideologischen Konfrontation war, mit der die USA sich in den Krieg gegen Vietnam hinein manövriert hatten und von dessen Auswirkungen auch das Nachbarland Kambodscha nicht verschont wurde. Tragischer Höhepunkt jener Entwicklung war 1975 die Machtergreifung der radikal-sozialistisch-maoistischen Roten Khmer, deren Schreckensherrschaft in weniger als vier Jahren wohl annähernd zwei Millionen Menschen zum Opfer fielen. Die Roten Khmer strebten einen kommunistischen Bauernstaat und eine Wiederauferstehung jenes mythischen Reiches von Angkor an, das heute in der Bonner Ausstellung beschworen wird.

Dass die brüchige Situation in Indochina eigentlich das Vermächtnis der europäischen Kolonialherrschaft ist, mag, so scheint es, niemand recht hören. Und der Verzicht auf eine Einbettung der Schau in die jüngere Geschichte und die momentanen Konsolidierungsschwierigkeiten Kambodschas, war, so mutmaßt die Bonner amnesty-Hochschulgruppe auf ihrer homepage, „vermutlich eine Bedingung der kambodschanischen Regierung für die Leihgabe der Ausstellungsstücke“. Ergänzend zu dem umfangreichen kunst- und kulturhistorischen Rahmenprogramm zur Ausstellung will die amnesty-Hochschulgruppe „mit Vorträgen, Spielfilmen und Dokumentationen auf die aktuellen Probleme Kambodschas hinweisen“. Traurig, dass die offizielle Präsentation des fernöstlichen Landes all dies weitgehend versäumt. Selbst der Katalog schweigt zu diesem Thema.

Als Symbole der nationalen Identität Kambodschas dienen die großen Anlagen des Khmer-Reiches noch heute der nationalen Selbstdarstellung. Angkor Wat ist aber auch praktisch das Einzige, was westliche Touristen beim Besuch des Landes kennenlernen (sollen). Die unseligen und bis heute nachhallenden Folgen des Kolonialismus in Südostasien, die überaus komplizierten und von jahrzehntelanger Propaganda bis zur Unkenntlichkeit verzerrten Wirklichkeiten des 20. Jahrhunderts sind allenfalls Thema von Menschenrechtsorganisationen. Doch die Kämpfe, die Kambodscha mit seinen Nachbarstaaten und hier vor allem mit Vietnam ausgefochten hat, sind wohl ebenso alt wie die malerisch überwucherten Ruinen und die steinernen Reliefs auf den Wänden des Tempels in Angkor Wat.

Die prächtigste materielle Hinterlassenschaft des historischen Khmer-Großreichs Kambudja (9. bis 15. Jahrhundert) sind ohne Zweifel die Tempel und Ruinen von Angkor Wat im Norden des Landes. In seiner Blütezeit zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert umfasste Kambudajadesa weite Gebiete des heutigen Vietnam, Thailand und Laos. Handelswege hatten das Land schon in der Prä-Angkor-Zeit mit Indien und China verbunden, hatten den Austausch von Kultur, Religion und technischen Fertigkeiten ermöglicht. Vor allem der prägende Einfluss der indischen Kultur ist allgegenwärtig, die Vermischung der verschiedenen Religionen und die Adaption der epischen Dichtungen Ramayana und Mahabharata sowie der mythologischen Themen aus Brahmanismus und Buddhismus.

Sanskrit war bis ins 14. Jahrhundert die heilige Sprache schlechthin. Aus ihr hatte sich auch die Khmer-Schrift entwickelt. Die Tempelanlage von Angkor Wat ist umgeben von einem breiten Wassergraben und einer Mauer, ist eingebunden in eine streng symmetrische architektonische Struktur, die die Weltenordnung symbolisiert. Als Spiegelbild des Kosmos verkörpern die Tempel das große Feng Shui des Lebens jener uralten Kultur und ihrer uns so fremden religiösen Überzeugungen. Die Ausstellung präsentiert neben den Fotografien und animierten Rekonstruktionen der Bauten die kunstvollen Objekte stimmungsvoll ausgeleuchtet vor dunklem Grund, all die Götter und Halbgötter, die Tiere und Menschen, die die göttlichen Energien und die verschiedenen kulturellen Einflüsse bündeln: bezaubernd und geheimnisvoll wie die Kultur des alten Khmerreiches. Und auch die Texttafeln bleiben, obwohl informativ, weitgehend unergründlich. Die großen Fotoreproduktionen der szenischen oder rankengeschmückten Steinreliefs des Tempels geben eine Ahnung von der überbordenden Fülle, von der fast barocken Erzählfreude und den bewegten Motiven an den Wänden von Angkor Wat.

Der wunderschöne Stier des Gottes Siva, eine rundplastische Bronzearbeit aus dem 12. Jahrhundert, besticht durch seinen feinen Naturalismus. Die inzwischen kopflose Sandsteinstatue der Bhagavatí Mahisasuramardaní, der mächtigsten Göttin des brahamanischen Pantheons und Bezwingerin des Büffeldämon Mahisa zeigt eine vollbusige junge Frau, deren erotische Ausstrahlung in deutlichem Widerspruch steht zu dem Wissen um die restriktive Kulturpolitik Kambodschas heute, in der die kosmetische oder modische Betonung der Körperlichkeit ebenso verpönt ist wie Mobiltelefone.

Etwa 140 Objekte, Stein-, Bronze- und Holzskulpturen, Malereien und Silberarbeiten sind aus dem kambodschanischen Nationalmuseum in Phnom Penh sowie dem Indischen Museum Berlin und dem Musée National des Arts Asiatiques Guimet in Paris ausgeliehen worden. Mit Bedacht haben die Ausstellungsmacher sich darauf beschränkt, nur öffentliche Museen als Leihgeber anzufragen. Zu groß ist die Gefahr, in privaten und halböffentlichen Sammlungen Diebesgut zu erwischen. Denn zwischen Bangkok und Hongkong werden heute noch, wie schon seit 150 Jahren, Kunstobjekte und religiöse Skulpturen jener alten Kultur angeboten, deren Hochzeit viele hundert Jahre zurückliegt, doch deren Artefakte immer noch den betörenden Zauber bewahrt haben, der von der traurigen und oft grausamen Geschichte des Landes nichts ahnen lässt.

Kambodscha ist heute eine parlamentarische Monarchie. Aber die jungen Menschen in Kambodscha wollen, einem jüngsten BBC-Bericht zufolge, heute von der unseligen Vergangenheit ihres Landes nichts mehr wissen, können und wollen nicht glauben, was ihre Eltern und Großeltern ihnen erzählen. Die Identifikation mit dem uralten Khmerreich von Angkor Wat ist vermutlich einfacher.

Bis 9.4.2007Infos: 0228-9171-0

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