IM KRANKENHAUS
: Der Knurrer

Da begegnete er anderen, denen es schlechter ging als ihm

Komisch, dass die Stadtrandstraße noch im AB-Bereich der BVG liegt. In der S-Bahn fühlte man sich wie auf einer langen Reise. Später hießen die Straßen vom Bus aus: Hochhaus- und Glühwürmchenweg. Das Krankenhaus sah aus wie die meisten. Am Montag hatten sie George eine neue Hüfte eingebaut. Er regenerierte vorbildlich und würde ein paar Tage früher als geplant wieder entlassen werden. Das lag wohl auch daran, dass er zwanzig bis dreißig Jahre jünger war als die meisten seiner Mitpatienten. Die Schläuche waren schon entfernt wurden und er musste auch nicht mehr die Gehhilfe benutzen, die beim Gang auf die Toilette so hinderlich war.

Sein Bettnachbar war so ein siebzigjähriger Knurrer, der die Krankenschwestern gerne rumkommandierte und sich ungern etwas sagen ließ, wie George in der Caféteria des Krankenhauses erzählte. Einmal sei der Knurrer verbotenerweise aufgestanden und hingefallen. Hilflos hatte der schwere Mann auf dem Boden gelegen, und George hatte den Notruf betätigt. Krankenhauspersonal war herbeigeeilt und er wurde – so war die Vorschrift – auf die Notfallstation gebracht. Die Vorschrift war vielleicht auch eine pädagogische Maßnahme – denn dort begegnete er ja anderen, denen es schlechter als ihm ging.

Es war halb sieben, und wir waren die letzten Gäste in der Caféteria. Berliner Rundfunk lief, Geschirr klapperte. Wir tranken Clausthaler und spielten Backgammon. Manchmal übersah George gute Züge. Die Narkose und die starken Schmerztabletten wirkten noch nach. Die Kantinenfrau kam und sagte, wir müssten nun gehen. Langsam gingen wir am Zeitungsstand vorbei, und ich ärgerte mich darüber, dass hier auch die Junge Freiheit verkauft wurde. Die Zeitung machte auf mit „Die Macht der Homolobby – Ihr unheimlicher Einfluss auf Politik und Medien“. Unmöglich so was!

DETLEF KUHLBRODT