dichtung und fahrzeit (vollständige Fassung)
: Fritz Müller

Fritz Müller!„Wer ist Fritz Müller?“Fritz Müller war unser Zugbegleiter,Ernst prüfte er Tickets, mehr mürrisch als heiter.Ins Dienstabteil entschwand er geschwind, entschwand wegen uns, so schnell wie der Wind.

EC dreiundzwanzig rauscht auf den Schienen,Die rollenden Räder, sie summen wie Bienen.Von Hamburg rauscht er gen Bremen zu,Voll froher Erwartung findet keiner mehr Ruh’.

Und die Passagiere ob Kinder, ob Fraun,Wollen so gern’ fremde Städte anschaun.Plaudernd lotst man Fritz Müller heran,„Wie weit noch, freundlicher Herr von der Bahn?“

Der schaut aus dem Fenster und schaut in die Rund : „Noch dreißig Minuten … halbe Stund’.“Alle Herzen sind froh, alle Herzen sind frei –Da quäkt s aus dem Lautsprecher, so wie ein Schrei,„Signalstörung“ war es, was da erklang,Bremsklotzgeruch in die Lungen drang,Ein Rütteln, ein Quietschen, kreischend der Ton,Und noch vierzig Minuten zur nächsten Station.

Und die Passagiere, voller Bedauern,Sieht man auf ihren Sitzplätzen kauern.Man sagt: „Zug ist besser als Automobil“,„Das Jammern und Klagen hilft auch nicht viel.“

Man fragt: „Erreich ich meine Destination?“Und noch fünfzig Minuten zur nächsten Station.

Es ruckelt die Lok, setzt sich kaum in Aktion,Der Lautsprecher kräht: „Defekter Waggon.“

Nicht sieht man Fritz Müller, den Herrn von der Bahn,Ein jeder möcht’ wissen: „Komm ich noch an?“ „Mein Anschluss, mein Anschluss!“ – ein Schweigen, sonst nichts.Dem Lautsprecher schon an der Stimme gebricht’s.

„Oberleitungsschaden“, klingt’s da plötzlich wie Hohn,„Noch unbestimmte Zeit zur nächsten Station.“„Wie lang noch, Herr Zugchef?“ Still liegt nun die Bahn,vom Personal Man niemanden sprechen kann.

Und im Dunkel der Nacht steht er einsam, der Zug,Die Fahrgäste haben längst schon genug;Verzweiflung weicht der Resignation„Was woll’n wir schon groß bei der nächsten Station?“

*

Oh Wandrer, siehst Du den Zug einst dort liegen,So grüß ihn vom Bahnchef, sag ihm: Sparen heißt siegen!Alle Sender künden heute die Mähr? Von der Bahn, die an der Börse nun wär

Verzückte Shareholder reiben die HändEs ist geschafft: Tausend Prozent!Börsenkurse nach oben streben,Nur EC dreiundzwanzig bleibt am Schienenstrang kleben.

Vergessen der Zug, vergessen die Leute,Ihr Fahrgeld verbleibt in der Kasse als Beute.Davon zahlt Herr Mehdorn eine Plakett’,Drauf heißt es in goldenen Lettern so nett:Wir danken Fritz Müller, der in schwerer NotParoli den frechen Fahrgästen bot.Ins Dienstabteil entschwand er geschwind,Entschwand für uns alle, so schnell wie der Wind,

Fritz Müller.

(Ziemlich frei nach Th. Fontane)

ROLAND KRÖGER

Anm. d. Red: Beim Abdruck dieses Gedichts in der taz nord vom 29. 12. 2006 hatten wir die letzten Zeilen versehentlich unterschlagen. Hier nun das Gedicht in vollständiger Fassung