berliner szenen Ein deutsches Silvester

Photoshop als Waffe

Der erste Werktag im neuen Jahr begann mit einer Art Epiphanie. In der Passage zwischen Kaufhof am Alexanderplatz und der ausgelagerten Kurzwarenabteilung kamen drei Gestalten auf mich zu. Es war ein französisches Fernsehteam, das wissen wollte: „Wie haben Sie als Deutscher Silvester verbracht!?“ Ich blinzelte ratlos in die Kamerascheinwerfer. Mein einziger Anhaltspunkt: eine Schachtel Fahrradflickzeug, die ich gerade in der Kurzwarenabteilung gekauft hatte.

Dann erinnerte ich mich wieder. An die Scherben von Millionen Sekt-, Bier- und Schnapsflaschen. Richtig! Ich war am Neujahrsmorgen mit dem Fahrrad von Kreuzberg zurück nach Prenzlauer Berg gefahren, und am Bersarinplatz waren beide Reifen platt. Um mich herum Dutzende total hilfsbereite total besoffene Fußgänger. Zwei Briten im Vollrausch hatten dann angefangen, mein Velo in Richtung Westen zu tragen, und immer gerufen: „What a great bike!“

Das Fernsehteam wartete indes immer noch auf ein Statement, und endlich fiel mir ein: „Ich habe mit Freunden zusammen gefeiert!“ Genau, Privatparty im Görlitzer Park, „invitees only“. Und da war auch jene zwölfstellige Telefonnummer, die ich auf dem Etikett einer Flasche „Landsknecht Wodka“ notiert hatte. Sie stammte wohl von der tschechischen Photoshop-Expertin, mit der ich nach Mitternacht am Kamin gesessen hatte. „Use Photoshop as a weapon!“, hatte sie ständig wiederholt, „Don’t forget: You must use Photoshop as a weapon!“ Was hatte das bloß zu bedeuten!? Die Leute vom Fernsehen wollten noch genauere Informationen. „Es gab Bier, Wodka und Zigarren, aber jetzt muss ich dringend mal ein Ferngespräch führen“, sagte ich und suchte die nächste Telefonzelle. ANSGAR WARNER