Deutschstunde

Der RBB hat aus Wibke Bruhns’ Spurensuche nach dem eigenen Vater einen behutsamen Film gemacht („Meines Vaters Land“, 22.45 Uhr, ARD)

VON STEFFEN GRIMBERG

Ach, wäre er doch Däne geworden! Dass jedenfalls hatte sich Hans-Georg Klamroth, Saatgutgroßhändler aus Halberstadt am Harz, immer gut als Alternative vorstellen können. Doch er blieb Preuße, nationaler zumal. Zog zweimal in den Krieg. Und wurde im 3. Volksgerichtshof-Prozess nach dem 20. Juli 1944 zum Tode verurteilt und gehenkt.

Wibke Bruhns, Jahrgang 1938, hat die Geschichte ihres „fernen Vaters“ und damit die Geschichte einer deutschen Generation in „Meines Vaters Land“ brillant recherchiert. Und sie verleiht jetzt dem Film die nötige Bodenhaftung, die Anbindung ans Hier und Jetzt, die vielen anderen Dokumentationen über das Dritte Reich in letzter Zeit abgeht.

Die Klamroths, das ist großbürgerliche Haute-Volée mit Geschäftsbeziehungen von Südamerika bis tief nach Russland, „frühe Global Player, dafür patriotisch bis auf die Knochen“, (Bruhns). Das fängt für den kleinen Hans-Georg an bei schwarzweißroten Sandkastenmanövern am Strand der Nordseeinsel Juist und endet mit einem Not-Abitur, um ja noch im Ersten Weltkrieg einrücken zu können. Doch da ist auch viel Moderne und Liberalität, verkörpert durch seine aus Dänemark stammende Frau Else und deren Familie, die Hans-Georgs Horizont weiten: „Wäre ich nicht Preuße, wäre ich gern Däne.“ Die Ménage à quatre mit einem anderen Ehepaar, der sich die beiden Klamroths in den frühren Dreißigern hingeben, streift der Film nur. Macht aber klar: Trotz solcher Ausbrüche aus der gesellschaftlichen Konvention, trotz der internationalen Kontakte blieb der Klamroth-Clan auf heute unvorstellbare Weise deutsch – und obrigkeitstreu. Für Else (Tagebucheintrag: „Unentwegt sangen wir ‚Deutsch ist die Saar‘ und riefen ‚Heil, Hitler‘“) ist Hitler Messias-Ersatz. Der Arier-Paragraf der Nazis wird eilfertig ins sogenannte „Grundgesetz“ des Klamroth’schen Familienverbandes aufgenommen.

Im geliebten Dänemark dient Hans-Georg schließlich, wie später an der Ostfront, als Offizier bei der Abwehr, dem Nachrichtendienst der NS-Wehrmacht. Ob er schon dort Kontakt zu Widerstandskreisen hat, bleibt ungewiss. Sein Vetter Bernhard besorgt 1944 den Sprengstoff für das Attentat auf Hitler. Von ihm wird Hans-Georg in die Pläne eingeweiht. Dass er nach der Verhaftung durch die Gestapo schweigt, besiegelt sein Todesurteil. Wibke Bruhns ist da keine sechs Jahre alt.

Die RBB-Produktion von Gabriele Conradt und Gabriele Dennecke bleibt eng am Buch, montiert gelungen und zum Teil ganz innovativ die sattsam bekannten historischen Filmschnipsel mit dem so umfangreichen wie erstaunlich TV-tauglichen Material aus dem Familienarchiv der Klamroths. Familiengeschichts- und schmalfilmversessen war dieser Clan, ein Glücksfall fürs Fernsehen. Doch es ist vor allem Wibke Bruhns selbst, die den Film über alle Untiefen trägt. Sie ist keine der in anderen Dokumentationen – vor allem im ZDF – bis über die Grenzen der Glaubwürdigkeit hinaus strapazierten ZeitzeugInnen. Die erste „heute“-Moderatorin und spätere Stern-Korrespondentin bleibt bei aller Nähe Journalistin. Mit einer eigenartig berührenden behutsam-professionellen Distanz. Und beinahe noch unverblümteren Urteilen als im Buch. „Sein Leben“ wollte Wibke Bruhns dem unbekannten Vater wiedergeben – es gelingt nicht nur dem Buch, sondern auch dem Film. Auch wenn der offenbar unvermeidliche Christian Brückner wieder als Stimme aus dem Off knarzt.