Von Wolke 7 gibt’s kein Zurück

Eine tentative Vorschau auf schöne Ereignisse, die 2007 wirklich passieren sollten DAS SCHLAGLOCH von HILAL SEZGIN

Lackfarben, von denen jeder weiß, dass man sie nicht trinken darf, werden nicht mehr an Kaninchen getestet

Nachdem uns das Fernsehen tagelang mit den glücklichsten, stolzesten oder auch peinlichsten Momenten des Jahres 2006 malträtiert hat, sei hier zur Abwechslung eine tentative Vorschau auf die Höhepunkte von 2007 gewagt.

Der Januar zum Beispiel – das Jahr fängt schon mal gut an. Es beginnt nämlich damit, dass sich alle für den Unsinn entschuldigen, den sie in ihren Weihnachts- und Neujahrsansprachen von sich gegeben haben. Merkel bittet um Verzeihung für die Nach-vorn-blick-Rhetorik, mit der sie uns Reformen, Fleiß und Zielstrebigkeit ans Herz gelegt hat, und Bischof Huber bereut seine Bemerkung, „Konzerne hätten häufig allein die Entwicklung des Aktienkurses im Blick“. Die Aussage selbst sei zwar nach wie vor richtig, meint Huber, aber der Modus des Erstaunens, in dem er sie geäußert habe, sei naiv bis irreführend gewesen.

Februar: Nachdem die SPD dem Wählervolk seit Jahren suggeriert hat, man müsse sich zwischen sozialer Gerechtigkeit und solider Wirtschaft entscheiden, haut sie programmatisch wieder auf den Putz, man kommt vom dritten Weg ab, und alles wird gut. Die Wirtschaftsteile der Zeitungen gehen die Selbstverpflichtung ein, alles immer so verständlich darzustellen, dass sich auch der Laie traut, eine fundierte Meinung zur Politik der Weltbank zu entwickeln, und das Standortargument wird ein für allemal widerlegt: Nein, der deutsche Arbeitnehmer muss keine geringeren Sozialleistungen hinnehmen, weil sonst ein südostasiatischer Arbeitnehmer ohne jegliche Sozialversicherung den Auftrag übernimmt.

März: Auch wenn es für die Welt insgesamt nicht sehr relevant ist – der frische Wind in Sachen Verteilungsgerechtigkeit spornt meinen Kater Merlin an, durchzuzählen, was er sein Eigen nennt: fünf Kratzbäume, zwei Sofas und ein Bett. Könnte man davon nicht ein bisschen der schüchternen Maggie zur Verfügung stellen? Merlins Angebot: Maggie darf das weniger weiche Sofa nutzen, nachmittags zwischen drei und Viertel nach drei, sowie ihre Krallen am Küchentisch wetzen. Wer die Verhältnisse bei uns zu Hause kennt, weiß: ein enormer Fortschritt.

Zeitgleich gelingt es der Theologie, endlich die Frage der Theodizee zu lösen – warum also die Welt nicht von vornherein nur freudvoll und leidensfrei eingerichtet ist, sondern die Gesetze von Gottes Schöpfung es zu erzwingen scheinen, dass jedes Leben anderes, unschuldiges Leben kostet. Vielleicht findet sich sogar irgendeine versöhnliche Perspektive auf den Umstand, dass der Löwe der Gazelle ein Stück aus der Hüfte reißt und selbst der putzige Delfin bei mutwilligen Grausamkeiten wie dem Gang-Raping beobachtet wurde.

Der April, impulsiv, wie er ist, nimmt die Sache recht wörtlich. Spontan beschließt er, all jenen eine zweite Chance auf dieser Erde zu geben, die der Tod vor der Zeit ereilt hat; und so sind zahlreiche Eltern glücklich, verloren geglaubte Söhne und Töchter wieder in die Arme zu schließen. Zaghafte Menschen holen Abenteuer nach, von denen sie nie zu träumen wagten. Kälber und Mastschweine sind von der Wiederkehrregelung ausgenommen, sie schweben im Himmel auf Wolke 7, von Engelshand aus Rübenzuckerwatte gestrickt.

Weil der Mai mein Geburtsmonat ist, geht folgender Lieblingswunsch in Erfüllung. Durch einen tollen Zufall verliert ein Mitarbeiter des Kanzleramts seine Mappe, in der alle Auslandslieferungen der deutschen Rüstungsindustrie mitsamt Firmennamen verzeichnet sind. Diese Mappe fällt dem richtigen Reporter in die Hände, und die ganze Republik schlägt entsetzt die Hände überm Kopf zusammen: Ist Deutschland als viertgrößter Rüstungsexporteur der Welt vielleicht doch nicht das superpazifistische Land, als das wir es so gern rühmen?

Gleich im Juni werden Konsequenzen gezogen und die Waffenproduktion wird komplett eingestellt. Nein, keine Sorge: Der DAX bleibt stabil, und es werden keine deutschen Arbeitsplätze „vernichtet“.

Im Juli ist Sommerpause, alles ruht. Edmund Stoiber nimmt die Gelegenheit wahr, um mit einer kleinen Einsatztruppe in Hessen einzumarschieren, genauer: auf dem Rhein-Main-Airport, weil er sich, äh, persönlich ein Bild davon machen will, ob, äh, dort auch alles mit rechten Dingen zugeht. Tut es natürlich nicht. Es werden zahllose Menschenrechtsverletzungen an Asylbewerbern festgestellt, beginnend bei der Unterbringung. Als Roland Koch aus der Sommerfrische zurückkehrt, erwartet ihn eine entsprechend dicke Überraschung.

Muss extra dazu gesagt werden, dass im August allen Menschen, die auch bei der neuen Gesetzeslage kein sicheres Aufenthaltsrecht in Deutschland haben, weil sie arbeitslos sind, ein solches Recht zuerkannt wird?

September: Ich weiß nicht, ob es jemandem aufgefallen ist, aber in diesem Jahr sind bisher kein einziges Mal die Wörter „Islam“ oder „Integration“ gefallen. Das liegt vermutlich daran, dass die Kulturkampfrhetorik zugunsten neuer Verhandlungen mit den Erdöl fördernden Ländern des Nahen Ostens eingestellt wurde sowie deutsche Schulen endlich den Kindern aller Eltern, egal woher, egal wie belesen, dieselbe Chance bieten.

Für mich bedeutet das, dass ich so gut wie arbeitslos geworden bin. Buchverträge werden gekündigt, Kolumnen eingestellt – aber was soll’s? Es muss halt jeder sein kleines Opfer bringen.

Oktober: Außerdem eröffnen sich neue Betätigungsfelder, seitdem der Verfassungsgrundsatz Tierschutz ernst genommen und die Gesetzbücher entsprechend überarbeitet werden. Es ist nun kein „vernünftiger“ Grund mehr, einen lebenden Hummer zu kochen, dass man mit seinem Verzehr das eigene Standesbewusstsein demonstrieren will; Putzmittel und Lackfarben, von denen sowieso jeder weiß, dass man sie nicht trinken darf, werden nicht mehr an Kaninchen getestet, und die Mindestgröße von Hamsterkäfigen wird deutlich heraufgesetzt. Apropos Käfige: Auf jeden Joghurt (auch auf „Bio“-Produkte) wird das Foto einer Kuh gedruckt, wie sie wirklich lebt.

Im Juni werden Konsequenzen gezogen, die Waffen-produktion wird komplett eingestellt

November: Verbraucherproteste bringen den Verkauf von Milchprodukten zum Erliegen.

Für den Dezember hat sich Petrus noch was besonders Feines, geradezu Luxuriöses ausgedacht: Weil eine gleichmäßige Verteilung schönen Wetters mit Gottes Schöpfungsplan kollidieren könnte (siehe März), geht das zwar nicht direkt, dafür aber stellt Petrus der Menschheit die Möglichkeit des Beamens zur Verfügung, und zwar kostenlos und völlig schadstofffrei! So können alle Weihnachten im Süden verbringen, und das bei sich bessernder Kohlendioxidbilanz!

Sogar dem seligen Immanuel Kant, der zu Lebzeiten Königsberg nie verlassen hat, überreicht Petrus einen Gutschein, sich endlich einmal die Welt anzuschauen, über deren viele Völker er so eifrig geschrieben hat. „Passt leider nicht in meinen Zeitplan“, murmelt Kant, „muss noch meinen Entwurf zum Frieden zwischen Gestirnen und Galaxien fertig stellen.“ – „Nicht nötig“, schmunzelt Petrus, „Ich darf’s zwar offiziell noch nicht verraten, aber diesen Frieden schenkt euch Gott im nächsten Jahr.“

Fotohinweis:Hilal Sezgin lebt als freie Publizistin in Frankfurt am Main.