: Dem Boom sei Dank
von ULRIKE HERRMANN
Es könnte wie ein Schock wirken: Die Zahl der Arbeitslosen dürfte wohl wieder bei über 4 Millionen Menschen liegen. Heute gibt die Bundesagentur für Arbeit ihre Statistik für Dezember 2006 bekannt – und die meisten Volkswirte rechnen mit rund 4,1 Millionen Erwerbslosen. Im November vergangenen Jahres wurden 3,995 Millionen gezählt.
Trotzdem wäre es eine gute Nachricht, wenn die Arbeitslosenzahl im Dezember tatsächlich nur um etwa 100.000 Menschen angestiegen wäre – in den letzten fünf Wintern verloren durchschnittlich jeweils rund 160.000 Arbeitnehmer ihre Stelle. Diesmal hatte jedoch vor allem die Bauindustrie Glück mit dem Wetter, war doch der Dezember fast frostfrei.
Hinzu kommt die gute Konjunktur: Insgesamt ist die Zahl der Erwerbstätigen im vergangenen Jahr um 0,7 Prozent auf 39,1 Millionen gestiegen, wie das Statistische Bundesamt gestern bekannt gab. Gegenüber 2005 bedeutet dies ein Plus von 258.000 Beschäftigten. Damit arbeiten jetzt wieder so viele Menschen wie zuletzt 2002.
Allerdings kann nur die Dienstleistungsbranche wirkliche Zuwächse melden: Dort sind inzwischen mehr als 28 Millionen Menschen beschäftigt – 72,3 Prozent aller Erwerbstätigen. In der Industrie hingegen arbeiten nur noch 7,8 Millionen, im Jahr 2000 waren es noch mehr als 8,5 Millionen. Doch ganz so dramatisch ist der Strukturwandel nicht, beruht er doch auch auf statistischen Effekten: Viele Industriebetriebe stellen verstärkt Zeitarbeiter ein – die dann in der Rubrik „unternehmensnahe Dienstleistungen“ wieder auftauchen.
Das Statistische Bundesamt konnte gestern nur eine vorläufige Berechnung der Erwerbstätigkeit 2006 vorlegen; im Detail muss die Bundesagentur für Arbeit noch viele Daten nachliefern. Doch so viel lässt sich schon sagen: Die Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung hat mit dem neuen Stellenzuwachs nichts zu tun. So ist die Zahl der 1-Euro-Jobs im Jahr 2006 nur um 50.000 gestiegen und lag „bei durchschnittlich rund 300.000“, wie es beim Statistischen Bundesamt heißt. Auch die Zahl der Minijobs stagnierte weitgehend, nachdem die Arbeitgeberpauschale im Juli von 25 auf 30 Prozent angehoben wurde.
Stattdessen ist 2006 erstmals die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Stellen wieder deutlich gestiegen. Im September waren es 26,88 Millionen – ein Plus von 317.000 im Vergleich zum Vorjahr. Von diesen Jobs profitieren vor allem die Neuzugänge unter den Arbeitslosen, die oft schnell wieder Arbeit fanden: Nur 328.000 der Kurzzeitarbeitslosen waren 2006 lang genug ohne Job, um in den Hartz-IV-Bezug für Langzeitarbeitslose zu wechseln. Die Bundesagentur hatte ursprünglich damit gerechnet, dass weit über 500.000 Menschen ohne Chance am Arbeitsmarkt wären. Die Zunahme der Langzeitarbeitslosigkeit konnte also zumindest gebremst werden – doch wer schon lange ohne Job ist, findet auch jetzt keinen. Der Aufschwung geht an den Langzeitarbeitslosen weitgehend vorbei. Sie machen inzwischen Zweidrittel aller Erwerbslosen aus.
Zudem könnte die erhöhte Mehrwertsteuer bald schon wieder Jobs kosten – wie das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in einer Simulationsrechnung ermittelt hat (siehe Interview). Allerdings sind viele Wirtschaftsforscher auch optimistisch. So befand etwa ifo-Präsident Werner Sinn gestern: „Die Lage ist derzeit außerordentlich gut.“