Musikalische Adresse „Female Vocal Jazz“: Mit „Home“ und „Mittendrin“ bestimmen Chinaza und Pat Appleton ihren Platz im Geschäft

Ein Musikgenre kann gar nicht marginalisiert genug sein, als dass nicht trotzdem ständig fleißig neue Subgenres eröffnet würden: Vom Illbient über Schranz und Drill ’n’ Bass bis zur, sehr hübsch, New Wave of New Wave. Im Vergleich zu diesen Schubladenschöpfungen ist der „Female Vocal Jazz“ eine geradezu altehrwürdig abgesicherte Klassifikationsmöglichkeit, wenn auch mit leicht diskriminierendem Einschlag: Frausein ist doch ein seltsames musikalisches Kriterium.

Was auch immer man von der Schublade halten mag: Chinaza jedenfalls passt definitiv hinein. Auch wenn sie sich auf ihrem zweiten Album „Home“ um eine Erweiterung des Begriffs bemüht. Aber erst einmal wird kräftig der Schlagzeugbesen gerührt und der Bass begibt sich auf Abwege, anstatt den Rhythmus gerade voran zu treiben. Eifrig wird synkopiert, Akzente sitzen nicht immer an den logischen Stellen, und selbst aus dem alten Teenie-Hit „Wouldn’t It Be Good“ von Nik Kerhsaw wird ein leichtfertig hingetupftes Gespinst. Das ist – natürlich – Jazz, aber dann halt doch nicht die Sorte, die mittlerweile auf dem Konservatorium unterrichtet wird. Immer wieder finden Chinaza und ihr Pianist Sebastian Weiss, der für die Arrangements zuständig ist, Auswege aus den Genre-Vorgaben. Am radikalsten vielleicht in der Version des Talk-Talk-Klassikers „Life’ What You Make It“, in der Chinazas Stimme, nur begleitet von eine ätherischen E-Orgel, die Melodie des Originals immer wieder entgleitet.

Geradezu systematisch werden die Konventionen der Jazz-Ballade umgangen, mal durch die Instrumentierung, mal durch eine Versetzung mit Elementen aus Pop oder Soul. Allerdings: Dass die in Göttingen aufgewachsene und nun in Berlin lebende Chinaza zwischen ihrem fünf Jahre alten Debüt „Changes“ und „Home“ eine Zeit lang in Nigeria gelebt hat, aus dem ihre Eltern einst vor dem Bürgerkrieg flüchteten, das ist nicht so sehr in der Musik, nur in den Texten ihrer eigenen Songs zu hören. Da geht es um Identität und Rassismus, um Heimat und Fremdheit.

Themen, die Pat Appleton so gar nicht umtreiben, auch wenn ihr Vater aus Liberia stammt. Themen, die die seit drei Jahren in Kreuzberg lebende Appleton nahezu demonstrativ umgeht. Themen, die schon früher, als sie noch Stimme der Heidelberger Soul-Jazz-Pop-Combo De-Phazz war, kaum eine Rolle spielten und auch nicht auf ihrem ersten Solo-Album „What’s Next?“. Aber damals war das noch nicht so deutlich zu hören, da hat sie noch Englisch gesungen. Für „Mittendrin“ hat sie nun deutsche Texte geschrieben, die nahezu ausschließlich von Liebe, Beziehungen und dem obskuren Wesen Mann handeln. Diese Texte funktionieren oft ganz prima, vor allem wenn Appleton ihre Band anweist, wie in „Männer ohne Pferd“ relativ konventionellen Poprock zu spielen.

Mit halbwegs lauten Gitarren umschifft sie souverän den Hafen „Female Vocal Jazz“, und kann sich so erlauben, ab und an dann doch wieder ein paar Jazz-Harmonien auszupacken. Es geht ihr gut, da zwischen allen Schubladen. THOMAS WINKLER

■ Chinaza: „Home“ (Nagel Heyer/Rough Trade)

■ Pat Appleton: „Mittendrin“ (Content/Edel)