ALLES KOMMT AUF DEN TISCH
: Vegetarier, Stasi und Dioxin

Zum Genießen: ein Skandal, pünktlich zur Grünen Woche

VON HELMUT HÖGE

In allen Zeitungen wurde Karen Duves Buch über das Essen besprochen. Und jedes Mal wurde dazu ein Foto der Autorin mit einem Huhn auf dem Arm abgedruckt. Die Hamburgerin wohnt in Brandenburg auf dem Land. Sie ist Veganerin und als Tierschützerin mit der Kamera unterwegs, ihr Buch heißt „Anständig essen“ und folgt auf das Buch „Tiere essen“ von Jonathan Foer, mit dem Karen Duve derzeit einige Lesungen bestreitet.

„Anständig essen“ ist quasi das Buch zum Film „Dioxinskandal“ – und das kam auch noch rechtzeitig zur „bisher größten“ Lebensmitteldemo zu Beginn der Grünen Woche. Die Autorin berichtet über die Schandtaten der Agrarindustrie und ihre eigenen Essensexperimente: Sie ernährte sich biologisch, vegetarisch, vegan und frutarisch (für die Frutarier ist das Ausreißen einer noch lebenden Mohrrübe Mord).

Huhn, komm raus!

Das Huhn auf dem Arm der Autorin hat einen Namen: Rudi. Der Berliner Zeitung verriet sie, dass es einer „Befreiungsaktion“ aus der überbelegten Halle eines Biohofs entstammt. Und dass ihr, indem sie das Essen mit Moral verband, jeder „Hackbraten zu Quälfleisch“ wurde. Ihr zweites Huhn, Betty, aß sie zwar vor einiger Zeit – mit Genuss, aber nur, weil es zuvor bereits von einem Fuchs getötet worden war.

Auch der ebenfalls auf dem Land lebenden taz-Autorin und Tierschutzaktivistin Hilal Sezgin sind ihre Schlachttiere eher Haustiere, die sie höchstens symbolisch benutzt – indem sie darüber schreibt. Anders der Ost-taz-Gründer André Meier, ebenfalls ein Stadtflüchtling, der in seiner „Aussteigerfibel“ sauber zwischen benamten und unbenamten Tieren unterscheidet: Nur die Ersteren werden nicht gegessen, so halte man es jedenfalls in Vorpommern. Aber den Erfolg, den der Autor mit seinem „Landleben für Anfänger von A bis Z“ erzielte und auch viel gesehene Filme wie „Fleisch ist mein Gemüse“ konnten nicht verhindern, „dass der Vegetarismus heute in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist“, wie die Vegetarierin Iris Radisch kürzlich in der Zeit jubelte.

Wenn Karen Duve die Rolle des Food-, Wut- und Gutmenschen in dem aktuellen Dioxindrama spielt, dann durfte ihr Gegenspieler, der Schurke, kein Leichtgewicht sein: Erst war es nur die fast anonyme kleine Futtermittelherstellerfirma Harles und Jentzsch, die dann sogleich in Insolvenz verschwand und ihre Webpage löschte. Übrig blieb der „Geschäftsführer Siegfried Sievert (58)“, ein verschwiegener Ostler. Wie konnte man dem auf die Sprünge helfen?

Da half das noch für jede Gemeinheit gute Bundesinnenministerium nach: Es setzte seine „Birthlerbehörde“ in Trab. Und diese trieb augenblicklich 200 Spitzelberichte von Siegfried Sievert alias „IM Pluto“ auf, die er auch noch per Hand geschrieben hatte. Besser ging’s nicht! Dazu Tonbänder und Quittungen für Stasi-Honorare im Wert von über 1.000 Mark (Ost). Die Kapitalpresse, das Landwirtschaftsministerium, der Bauernverband, die Bauern – alles lachte über „Pluto“ und freute sich riesig. Auf der Grünen Woche flossder Sekt in Strömen!

Echt fett!

Die Süddeutsche Zeitung schrieb: Sievert, „der bis zur Wende der Stasi zuarbeitete, war schon damals in fettverarbeitenden Betrieben wie dem VEB Märkische Ölwerke in Wittenberge beschäftigt. ‚Der IM hat keinerlei Vorbehalte bei der Belastung von Personen aus seinem Umgangskreis‘, heißt es in seiner Akte.“ Allein eine solche „Einschätzung“ seines Führungsoffiziers, die damals – unter den Kommunistenschweinen – natürlich positiv gemeint war, zeugte bereits von der ganzen Niederträchtigkeit dieses (Ost-)Individuums.

Aber es kam noch dicker: Der Mann arbeite nicht aus Überzeugung für die Aufklärung, heißt es in einer anderen Stasi-Evaluierung. Er berichte nur, was ihm selbst nützlich sei und indem er „persönliche Vorteile/Nachteile in Erwägung“ ziehe. „Futter-Panscher war Stasi-IM“ titelte die Berliner Morgenpost. Das war es doch: Nicht einmal die ihm im Westen großzügig ermöglichte Karriere hat dieses Subjekt von seiner egoistischen Lebensgier abbringen können.

Von Donald bis Ente

Gewiss, es gab einige kritische Stimmen: „Wenn der Sozialismus das nicht geschafft habe, dann doch der Neoliberalismus erst recht nicht“ (Köstritzer Post). Ihm einst Nahestehende gaben zu bedenken: Mit dem selbst gewählten Decknamen „Pluto“ habe er nicht den römischen Gott der Unterwelt und des Reichtums gemeint, sondern den amerikanischen Hund von Donald Duck.

Aber im großen Ganzen war an den Umrissen der beiden Protagonisten „Karen Duve – Huhn Rudi“ und „Futterfette Sievert – Dioxin Stasi“ nicht mehr zu rütteln. Zudem waren sich bei der „Problemlösung“ alle einig: „Die Lebensmittel müssen teurer werden“, wie es der Präsident der Ernährungsindustrie Jürgen Abraham auf der Grünen Woche sagte. „Der Fehler liegt nicht im System!“