Fröhlicher Orientalismus

Zwischen Fremdenverkehrsklischees und Bollywood zum Mitklatschen: Das trotzdem sympathische indische Tanzspektakel „Bharati“ macht in dieser Woche im ICC Station

Wie sich die Zeiten ändern: Wer früher in Berlin einen indischen Film sehen wollte, der musste noch bis in die Neunzigerjahre hinein zum lokalen türkischen Fernsehsender TD1 zappen, der gelegentlich schlechte Kopien von schlecht synchronisierten Bollywood-Filmen ausstrahlte. Oder aber er besuchte die Berlinale, wo im Abendprogramm des „Forum“ die neuesten Bollywood-Produktionen gezeigt wurden. Doch die Produzenten in Bombay hatten selbst so wenig Vertrauen in die Vermittelbarkeit ihres Kinos, dass sie einmal sogar die Tanzszenen herausschnitten, bevor sie ihre Filmrollen nach Berlin schickten: Sie fürchteten, die Deutschen könnte der Gesang langweilen.

Und heute? Heute läuft Bollywood auf allen Kanälen. Die Blockbuster des indischen Kinos, meist mit „King“ Sharukh Khan in der Hauptrolle, sind auf Arte und auf RTL2 zu sehen, laufen im Kino und sind auf DVD erhältlich. Bollywood-Filme finden sowohl ein Arthouse-Publikum, das sich an der überkandidelten Ästhetik delektiert, als auch längst Abnehmer im Mainstream. So hoch hat sich die Bollywood-Welle in den letzten vier Jahren geschaukelt, dass derzeit gleich zwei große Bollywood-Musicals um die Gunst des deutschen Publikums konkurrieren. Eines davon, die Massentanzshow „Bharati“, startete gestern in Berlin, wo es noch bis Sonntag Station macht.

Wer die spektakulären Massentanz-Choreografien indischer Filme mag, der wird hier bestens bedient: Eingebettet in eine eher banale Rahmenhandlung, werden bei „Bharati“ ausgiebig die Schultern geschüttelt und die Hüften gewippt. Mehrere Dutzend Tänzerinnen und Tänzer springen über die Bühne und wiegen die Arme in fließenden Bewegungen, um sie am Ende ekstatisch in die Höhe zu reißen. Es fehlen nur die obligatorischen Windmaschinen und die Wet-Sari-Szenen im Regen, um die Bollywood-Illusion komplett zu machen.

Als Erzähler führt der Schauspieler Victor Tabor durch den Abend, seine Stimme erinnert an die eines Märchenonkels auf einer Hörspielkassette für Kinder. Zum Glück wird die Geschichte um einen Inder, der nach Jahren im Westen nach Indien zurückkehrt und sich dort in das Mädchen Bharati verliebt, nur nacherzählt und nicht spielerisch ausgewalzt. Garniert wird sie mit etwas albernen Anekdoten, die das Klischee von Indien als Hort von Gewaltfreiheit und Spiritualität aufwärmen.

Das Ganze ist natürlich als Allegorie zu verstehen, stammt doch schon der Name der Titelheldin von „Bharat“ ab, dem altertümlichen Namen des Subkontinents. Zuweilen mutet die Show allerdings an, als sei sie im Auftrag des indischen Fremdenverkehrsamts entstanden, um den Tourismus nach Indien anzukurbeln. Auf Videoszenen im Hintergrund werden die Paläste von Radschastan, die Gipfel von Kaschmir und die Küste des südindischen Kerala eingespielt.

Auch musikalisch geht es einmal quer durch den Garten indischer Folkloretraditionen: Mal treten die Tänzer im orangenfarbenen Turban der Sikhs zum heftigen Bhangra-Beat der Dhol-Trommeln auf. Mal machen sie, in rosa Kaftane und schwarze Westen gekleidet, die islamisch geprägte Sufi-Tradition des Qawwali-Gesangs vor. Als Hommage an das Bollywood-Kino steigen die Tänzer auf eine knallbunte Minibus-Attrappe, während sich im Hintergrund schwarz-weiße Filmbilder aus dem Indien der 50er-Jahre mit Straßenszenen von heute abwechseln.

Dass die Show auf technische Opulenz verzichtet, macht sie sympathisch. Es gibt keine Hebebühnen und kein extravagantes Feuerwerk. Stattdessen wird bloß mal ein Holzschiff über die Bühne gerollt, und zum Finale fährt eine Motorrikscha auf. Dafür kann man sich auf die farbenprächtigen Kostüme konzentrieren – auf Sari-Stoffe von minzgrün bis safrangelb und auf silbrig glänzende Paillettenkleider und Pluderhosen aus Goldlamé. Oder auf die Sänger und Musiker, die vom Bühnenrand aus – links hocken die Tabla-Trommler und Perkussionisten, rechts die Geiger und Sitar-Spieler – die größten Bollywood-Hits intonieren: zum Mitklatschen. Die ganze Show schwelgt in einem fröhlichen Orientalismus, der einen interessanten Kontrast bildet zum negativen Bild, das bei uns vom Nahen Osten vorherrscht. Nur: Beim nächsten Mal könnte man ruhig gleich ganz auf die Rahmenhandlung verzichten.

DANIEL BAX

„Bharati“: bis Sonntag, 7. 1., im ICC, Messedamm 22, Charlottenburg