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Die vierhändige Frau

TANZTHEATER In Berlin und in Jakarta entstand das Stück „Cabdance“ von Kadir „Amigo“ Memis und Jecko Siompo. Es ist die letzte Premiere der Spielzeit am Hebbeltheater

Vier Hände zu haben wäre manchmal ganz schön. Es könnte beim Multitasking helfen. So sieht es zumindest aus bei einer Tänzerin, die in dem Stück „Cabdance“, das am Dienstag im Hebbeltheater uraufgeführt wurde, vierhändig agiert – zwei davon sind von einem Tänzer, der hinter ihr steht, geliehen. Teetrinken, in der Tasse rühren, telefonieren, den Kiefer hochklappen, der zum Gähnen runterging, den Kopf zwischen den Händen schiefliegen, blitzschnell wechseln die Aktionen. Natürlich ist der Witz bei der Sache, dass der Kopf der Geschwindigkeit der vier Hände nicht ganz folgen kann und mehr als dirigiertes Ding denn als Dirigent erscheint.

Von solch feinem tänzerischem Slapstick sind viele Szenen bei „Cabdance“ geprägt. Und oft erzählen die Aktionen der sieben Tänzer und Tänzerinnen in schnell wechselnden Bildern von Zuständen und Bewusstseinsformen, in denen nicht mehr ganz synchron geht, was doch als Einheit getaktet sein sollte. Mal ist es ein Spiegelbild einer Tänzerin, das plötzlich ihren Bewegungen nicht mehr folgt, sondern schneller ist und sie überholt. Mal ist es ein hölzerner Stab, der von zwei Frauen durch die Ärmel des Hemdes eines Tänzers geschoben, diesen mitten im Lauf aushebelt und ausbremst. Dann wieder treffen verschiedene Geschwindigkeiten und verschiedene Zeiten aufeinander. Eine Frau mit Motorradhelm bewegt sich in Zeitlupe, ein junger Mann im Wickelrock läuft gebeugt wie ein aufgescheuchtes Tier hin und her.

Paradies der Hunde

Tatsächlich hat „Cabdance“ eine doppelte Herkunft und zwei Choreografen, die in unterschiedlichen Städten mit den Proben begonnen haben, bevor die Szenen zusammengesetzt wurden: Kadir „Amigo“ Memis in Berlin, Jecko Siompo aus Jakarta. Ein Video am Anfang erzählt in schönen und witzigen Bildern von der Unterschiedlichkeit der Städte. Aus Jakarta sieht man hungrige Katzen, unglaublich mager, unglaublich frech, manchmal kämpfend, manchmal geschlagen und überall gegenwärtig in einer von Fahrzeugen und Menschen beängstigend vollgestopften Stadt. Dagegen ist Berlin das Paradies der kleinen dicken Hunde, mit viel Auslauf, vielen Parks, viel menschlicher Zuwendung.

Doch das Genaue in der Verortung und Lapidare in der Beobachtung, das die Filmsequenz auszeichnet, geht dem Tanzstück oft verloren. Beide Choreografen kommen aus der HipHop-Kultur, beide haben sich mit traditionellen Tanzstilen, Amigo aus der Türkei, Siompo aus Indonesien, auseinandergesetzt und bringen Material aus unterschiedlichen Zeitschichten in ihre Choreografien ein. Aber es scheint, als fehle ihnen der Mut, sich auf der Bühne die Zeit zu nehmen, aus der Bewegung heraus eine Erzählung zu entwickeln. Man erkennt zwar, dass sie das stete Bedrängtwerden von einer Umwelt, die keinen Platz mehr zur Entfaltung lässt, zum Thema ihres Stücks gemacht haben; aber die Szenen selbst sind mit zu großer Hast zusammengesetzt. Viele Bewegungselemente suchen den Kontakt zur Erde, die breit aufgestellten Füße, das heruntergeschobene Becken, die gebeugten Rücken, mit denen das Ensemble, von spitzen Schreien angetrieben, sich oft in einer Art Training sammelt: eine Art körperlicher Aufrüstung, rituelles Stampfen und Sammeln der Energie, die dem Ansturm von außen entgegengesetzt wird. Aber immer wieder tritt eine Störung auf, aus dem Miteinander wird ein Kampf, sie ziehen und zerren sich an ihren Kostümen, stoßen und schubsen sich und opfern die Konzentration zu schnell dem kleinen tänzerischen Gag.

KATRIN BETTINA MÜLLER

■ „Cabdance“. Wieder am 27. Juni, HAU 1, 20.30 Uhr

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