Brutale Vorfreude

Ricco Groß, Biathlet mit ansehnlicher Medaillensammlung, tut sich in seiner Abschiedssaison schwer, den Anschluss zu wahren. Der Staffelwettbewerb beim Weltcup in Oberhof findet ohne ihn statt

Aus Oberhof Andreas Morbach

Nach dem Warmschießen für die Oberhofer Weltcupwoche hatte der Bundestrainer dann doch ein wenig Mitleid mit Ricco Groß. Bei der World Team Challenge im Gelsenkirchener Kunstwinter vor fünf Tagen war der Oldie im deutschen Biathlon-Team am Ende nur Zehnter unter zwölf gestarteten Paaren – das trübe Resultat hatte er allerdings in erster Linie seiner Mixed-Partnerin zu verdanken. „Ricco hat eigentlich gut geschossen“, lobte Frank Ullrich den 36-Jährigen und hielt fest: „Diesmal war es einfach sein Pech, dass Kati Wilhelm so stark daneben geleuchtet hat.“

Pech für den Mann, der gerade seine letzte Runde mit der Biathlon-Elite dreht. Und zwar mit voller Inbrunst. Im September kündigte Ricco Groß an, seine lange, mit Medaillen reich gesegnete Karriere im Frühjahr 2007 zu beenden. Die Entscheidung fiel mit einem zweimonatigen Vorlauf zum Weltcupstart im schwedischen Östersund, schließlich wollte der Hochdekorierte seine Farewell-Tour ganz bewusst genießen. „Ich freue mich brutal auf meine letzte Saison“, betonte Groß vor dem ersten Startschuss und erklärte den bevorstehenden Winter umgehend zu seiner persönlichen Ehrenrunde: „Ich sehe die ganze Weltcupserie mit anderen Augen und will überall Abschied nehmen.“

Dem Bundestrainer wird bei so viel Abschied allerdings ganz schwindelig. „Im letzten Jahr spielt immer Wehmut mit hinein“, sagt Frank Ullrich, denkt dabei sicherlich auch an das emotionsreiche Adieu von Frank Luck bei der Oberhofer Weltmeisterschaft im Jahr 2004 – und empfiehlt Ricco Groß für die letzten Wochen seiner sportlichen Laufbahn Wehmut in Maßen. „Natürlich war das eine schöne Zeit für ihn“, weiß der Cheftrainer der deutschen Elite-Biathleten. „Aber er muss das jetzt gnadenlos durchziehen.“

Im Gesamtweltcup liegt der gebürtige Sachse als fünftbester DSV-Athlet momentan auf Rang 14. Sein Startplatz in den Staffelwettbewerben ist längst nicht mehr sicher. Heute startet Andreas Birnbacher anstelle von Groß. „In der nächsten Woche in Ruhpolding gibt es ja auch noch eine Staffel“, kommentierte der Bundestrainer vor der offiziellen Bekanntgabe seines Oberhofer Quartetts am Mittwoch noch vielsagend. Zumal sein Team bei den beiden bisherigen Staffeln dieses Winters einmal Zweiter (ohne Groß) und einmal Dritter (mit Groß) geworden war.

Dabei feierte der Vater dreier Söhne seine größten Erfolge als Biathlet im Zusammenspiel mit wechselnden Kollegen. Zwischen 1992 und 2006 holte Groß bei vier von fünf Olympischen Winterspielen mit der deutschen Staffel Gold, unterbrochen wurde die stolze Serie nur durch den zweiten Platz 2002 in Salt Lake City. Ein Sieg in einem olympischen Einzelrennen blieb dem Mann, der als der unabhängigste und selbstständigste Geist in der deutschen Mannschaft gilt, jedoch versagt.

Vier seiner insgesamt neun WM-Titel hat Ricco Groß dagegen ganz allein gewonnen. Nun träumt er davon, die Sammlung mit einem letzten Triumph bei den Titelkämpfen Anfang Februar zweistellig zu machen. Das italienische Antholz als Austragungsort kommt ihm bei diesem Plan jedenfalls überaus gelegen. „Dass meine letzten Weltmeisterschaften ausgerechnet dort stattfinden, ist verführerisch. Schließlich ist Antholz einer meiner Lieblingsorte“, bekennt der Hauptfeldwebel der Bundeswehr, während er sich nach dem mittelprächtigen Saisonstart nun aber primär um eine entspannte Sicht der Dinge bemüht. „Ich bin“, vermeldet Groß, „gut trainiert, freue mich auf die WM und lass mich überraschen, was dabei herauskommt.“

Ganz so locker war er zu Beginn seiner Abschiedstour im November nicht gewesen. „Am Anfang hat er es vielleicht ein bisschen zu sehr mit der Brechstange versucht, da war die Lockerheit verloren gegangen“, erinnert sich Bundestrainer Ullrich an den Saisonauftakt und wünscht seinem erfahrensten Athleten zwischen all der Wehmut und Anspannung vor allem „den richtigen Fokus. Ich weiß“, sagt Ullrich vor dem ersten der drei Herren-Wettbewerbe in Oberhof, „dass Ricco Groß sich sehr viel vorgenommen hat. Und er ist auch auf einem guten Weg, muss sich jetzt aber unwahrscheinlich ins Zeug legen.“ Sonst wird das Ganze ein Abschied ohne Happy End.