Gerettet von einem deutschen Serum

NAZI-PROPAGANDA Im Potsdamer Filmmuseum wurde das Schicksal von Zwangsarbeitern in der Filmindustrie der NS-Zeit beleuchtet

Bei der UFA wurden Zwangsarbeiter eingesetzt, wo Lücken durch einberufene Soldaten entstanden waren

VON CHRISTIAN SEMLER

Zwangsarbeit war während des Zweiten Weltkriegs in Nazideutschland allgegenwärtig. So auch im UFA-Filmstudio in Babelsberg. Der Erforschung der Schicksale der rund 600 dort eingesetzten ArbeiterInnen hat sich die Historikerin Almut Püschel verschrieben.

Das Filmmuseum Potsdam brachte Püschel mit der Kunstgeschichtlerin Britta Lange zusammen, die über Kriegsgefangene während des Ersten Weltkriegs und die Behandlung der deutschen „Kolonialfrage“ im Stummfilm geforscht hat. Gemeinsam mit dem Filmhistoriker Jan Distelmeyer diskutierten sie am Donnerstag über ein extremes Machwerk der Nazi-Propaganda, den Film „Germanin“ von 1942, der an diesem Abend auch vorgeführt wurde.

Zwangsarbeiter-Hierarchie

Die in Babelsberg beschäftigten Zwangsarbeiter entsprachen der Hierarchie, der die Nazis die gesamt Zwangsarbeit unterwarfen. An der Spitze dieser Hierarchie in Deutschland standen die westlichen Kriegsgefangenen, deren Arbeit noch durch die kriegsrechtlichen Regeln bestimmt war. Darunter standen die zur Arbeit gepressten „Zivilen“. Ganz unten fanden sich die sowjetischen Kriegsgefangenen und die Zwangsverpflichteten aus Osteuropa und Polen, die auch mit „O“ bzw. „P“ gekennzeichnet waren. Dass es den im Potsdamer Lager Internierten besser gegangen wäre als ihren Leidensgenossen in der deutschen Industrie, ist unwahrscheinlich. Die Kindersterblichkeit war hoch, das Essen erbärmlich. Bei der UFA wurden Zwangsarbeiter überall eingesetzt, wo Lücken durch die Einberufung zur Wehrmacht entstanden waren – vom Techniker bis zur Komparserie.

Der Film „Germanin“, unter der Regie von Max W. Kimmich mit Peter Petersen, Lotte Koch und Luis Trenker in den Hauptrollen, schildert den Einsatz eines Wissenschaftlers zur Bekämpfung der Schlafkrankheit in Afrika. Dem Deutschen gelingt es, ein Serum zu entwickeln, das unter dem Namen „Germanin“ nach dem Ersten Weltkrieg in Afrika erfolgreich angewandt wird – trotz der Intrigen der siegreichen britischen Kolonialmacht. Für „echte“ Dschungelbilder eignete sich das Babelsberger Studio nicht, so dass auf das römische Cinecittà ausgewichen werden musste. 300 schwarze Komparsen, die im Lendenschurz das dankbare Patientenmaterial abgeben sollten, wurden aus den Reihen der französischen Kriegsgefangenen, die im Lager Luckenwalde interniert waren, rekrutiert.

Da der Führer „Neger“ im Reich nicht sehen wollte, wurden sie nach Beendigung der Dreharbeiten in ein Lager bei Bordeaux deportiert. Dort verliert sich ihre Spur. Wie schaffte es Kimmlich, die schwarzen Frauen zu rekrutieren? In den Memoiren Luis Trenkers hat Britta Lange die Antwort gefunden. Ein Emissär wurde ins deutsch besetzte Paris geschickt und engagierte Frauen von kriegsgefangenen Schwarzen samt Kindern. Er war aber auch im Rotlicht-Milieu als Anwerber erfolgreich.

Der Film „Germanin“ bildet ein wichtiges Studienobjekt, weil sich in ihm verschiedene Diskurse des Faschismus verbinden. Da ist der Arzt als leuchtendes Beispiel deutschen Forschergeistes und rastloser Hingabe an die Mission, den Menschen zu helfen. Denn Deutschland wirkt in Afrika humanitär. Den Gegenpol zur deutschen Lichtgestalt gibt ein schurkischer englischer Kolonialoberst ab, der keine Hemmungen hat, alle Germanin-Vorräte zu verbrennen. Aber der Deutsche ist so voller Humanität, dass er, selbst erkrankt, mit der letzten übrig gebliebenen Germanin-Spritze sich nicht selbst rettet, sondern den Vertreter des perfiden Albion.

Die Schwarzen, ob krank oder noch gesund, werden zunächst von den Briten erfolgreich gegen die deutschen Heiler aufgehetzt, besinnen sich aber eines Besseren dank der schauspielerischen Überzeugungskraft Luis Trenkers. Die Schwarzen treten teils als brodelnde Masse auf, teils ergötzen sie das Publikum mit rituellen Tänzen. Die Wenigen, die sich in Sätzen artikulieren, sprechen selbstverständlich Deutsch. Sie waren im Dienst der deutschen Kolonialmacht (für die Sprechrollen hatte die UFA einige geduldete Deutschafrikaner in petto). Sie sind voller kindlicher Zuneigung zu ihren gütigen deutschen Herren. Dieser rassistische Diskurs mündet in einer Apologie der ehemaligen deutschen Kolonialherrschaft, die von den Kolonisierten wieder herbeigesehnt wird.