: Wenn der Körper schimpft
LEIDEN Müdigkeit, Gelenkentzündungen, Bauchschmerzen: Bei manchen Menschen lösen glutenhaltige Nahrungsmittel Schmerzen aus. Doch die Diagnose ist schwierig
■ Der Wunsch: Mona Möller mailte: „Mir ist ein Thema eingefallen, dass wir im Kollegenkreis (trotz Chemiekenntnissen) nicht klären konnten: Wie wird laktosefreier Käse hergestellt?“ Die Frage nach dem Käse ist relativ einfach zu beantworten, sofern man keine Biologiestunde daraus machen will. Aber weil Laktoseintoleranz oft in Folge von Glutenunverträglichkeit entsteht, dachten wir, wir holen beim Thema etwas aus. Und da auch taz-Kollegen von Laktose- und Glutenintoleranz betroffen sind, haben wir die Redaktionsstube vorübergehend virtuell in eine Backstube verwandelt.
■ Der Weg: Schicken Sie Ihre Themen-Anregung für die sonntaz an open@taz.de oder an die tageszeitung, Sebastian Heiser, Rudi-Dutschke-Straße 23, 10969 Berlin.
■ Die Info: Die Deutsche Zöliakie-Gesellschaft bietet Listen an, in denen alle glutenfreien Lebensmittel und Medikamente, die in Deutschland hergestellt oder vertrieben werden, veröffentlicht sind: www.dzg-online.de. Das Internetportal für Laktoseintoleranz: www.libase.de.
VON WALTRAUD SCHWAB
Erika König hat ihren Sohn mit Kartoffeln und Apfelbrei groß bekommen. „Mit Kartoffeln und Apfelbrei, Kartoffeln und Apfelbrei.“ Denn als sie vor 32 Jahren mit einem Kind zu tun hatte, das Zöliakie hatte – eine Unverträglichkeit gegen Gluten, das Klebereiweiß im Getreide –, gab es so gut wie keine Information zu dieser Krankheit. Man habe sie beruhigt: Ach, das sei nichts, das wachse sich raus. „Ihr braucht doch nur das Mehl weglassen“, soll der Arzt gesagt haben. „Ich war schon auf der Straße, da bin ich noch mal zurück: Jetzt sag mir mal genau, was das Kind essen darf.“ Er wusste es auch nicht.
König sitzt in der mit Möbeln und Andenken vollgestellten Stube ihres Hauses am Rande von Berlin und erzählt, wie die Krankheit dieses Kindes, zu dem sie auf wundersame Weise kam, zu ihrem Lebensthema wurde. Und wie sie seit drei Jahrzehnten mit ihrem Mann die Berliner Kontaktpersonen der Deutschen Zöliakie-Gesellschaft ist, die sich damals gründete. Laienexperten sind sie, die so gut wie alles im Umgang mit Zöliakie wissen.
Erika und Günter König, Altenpflegerin und Busfahrer, sind beide noch vor dem Zweiten Weltkrieg geboren. Nach dem Krieg wollten sie die Welt besser machen und landeten bei den Arbeitersamaritern. Sie hätten Erste-Hilfe-Kurse gegeben. Einmal auch in einem von Nonnen geführten Kinderheim. Es sei schon aufgefallen, dass die Nonnen ihnen den kranken Zweijährigen hartnäckig zuschoben. „Immer war der da.“ Im Nachhinein stellte sich gar heraus, dass die Nonnen beteten, dass die Königs das Kind zu sich nehmen, weil sie nicht mehr wussten, wie sie den Kleinen aufpäppeln können. So wurden sie Eltern.
Zöliakie ist eine chronische Krankheit, die als genetisch determiniert gilt, lebenslang bleibt und nur durch strenge glutenfreie Ernährung behandelt werden kann. Glutenhaltige Nahrungsmittel führen bei Betroffenen zu Entzündungen und zu allmählicher Zerstörung der Dünndarmschleimhaut. Ist die Zerstörung fortgeschritten, kann Nahrung nicht mehr ausreichend verwertet werden. Das kann Folgekrankheiten nach sich ziehen.
Weltweit soll ein Mensch unter 270 betroffen sein. Auffallend ist, dass die Glutenunverträglichkeit entweder im Kleinkindalter bemerkt wird oder verstärkt erneut bei Erwachsenen im vierten Lebensjahrzehnt auftritt. Frauen und Menschen mit Trisomie 21 sind stärker betroffen. Warum das so ist, kann die Forschung bisher nicht genau sagen. Denn obwohl genetische Merkmale für die Unverträglichkeit sprechen, gibt es kein eindeutiges Muster. Infektionen, Stress, Alkohol werden bei Erwachsenen als mitauslösende Faktoren ebenfalls in Betracht gezogen.
Bei Kleinkindern zeigen sich die Probleme nach der Umstellung von Muttermilch auf getreidehaltige Nahrung. Aufgeblähte Bäuche, Durchfälle, Gedeihstörungen und ein rundum unglückliches Kind sind die Folge.
Bei Erwachsenen sind die Symptome diffuser: Müdigkeit, Kraftlosigkeit, Nervosität, schmerzende Knochen, Zahnschäden, trockene Haut oder Blutarmut kommen vor. Auch Bauchschmerzen gehören dazu, Verstopfung oder Durchfall, Blähungen, Anämien, Gelenkentzündungen, Atemwegserkrankungen, Schilddrüsenerkrankungen. Zudem können Zöliakiebetroffene eine Laktoseunverträglichkeit entwickeln. Auch eine Verbindung zwischen Diabetes und Zöliakie wird mitunter hergestellt. Erschwerend allerdings kommt hinzu, dass manche Zöliakiebetroffene kaum Symptome zeigen, während andere Symptome zeigen, ohne dass es diagnostisch exakt nachweisbar ist.
Erika König von der Deutschen Zöliakie-Gesellschaft ist voll von Geschichten des diffusen und unverstandenen Leids. Einmal habe eine Frau sie gefragt, ob sie nie Bauchschmerzen nach dem Essen habe. „Für diese war Essen mit Schmerzen verbunden. Das muss man sich vorstellen, was das für ein Leben ist, wenn jeder Bissen wehtut.“
Die Leidensgeschichten sind mitunter sogar komisch. Claudia Kress, eine 49-jährige Hamburgerin, die ein paar Jahre in London lebte, erzählt, dass ihr seit ewigen Zeiten Brot aufstieß und Kuchen und Milch. „Eigentlich habe ich Brot für etwas Neutrales gehalten. Da passte Aufstoßen nicht dazu. Milch, na ja.“ Sie nahm es hin, schob es auf ihr hektisches Leben. Einmal sagte eine englische Freundin zu ihr: Brot, Milch – „it repeats on you.“ Kress fand die Vorstellung schön, dass die Lebensmittel ihr antworteten. „Das ist doch Kommunikation. Das ist, was man will.“
Fortan lebte sie im Zwiegespräch mit dem, was sie aß. „War aber schon ein bisschen komisch, dass immer mehr Nahrungsmittel mit mir sprachen.“ Sie entwickelte weitere unspezifische Symptome, die, weiß man sie einzuordnen, klassisch sind für Zöliakie: Durchfall, Verstopfung, Blähungen, Schilddrüsenentzündung, Gelenk- und Bauchschmerzen. Eine Ärzteodyssee mit Ultraschalluntersuchungen, Magen- und Darmspiegelungen liegen hinter ihr. Ohne Befund. „Hätte ich ‚it repeats on me‘ so interpretiert, als schimpfe das Essen mit mir, vielleicht wäre ich früher wach geworden“, sagt Kress. Seit zwei Jahren ist sie auf glutenfreier Diät und es geht ihr besser.
Der Nachweis, ob eine Zöliakie vorliegt, ist nicht einfach. Selbst bei einer Dünndarmbiopsie, bei der eine Gewebeprobe entnommen wird, die zur Abklärung notwendig ist, kann zufällig Schleimhaut entnommen werden, die intakt ist. In Zweifelsfällen scheint die einfachste – und für die Krankenkassen billigste – Methode jene von Versuch und Irrtum: Leute mit diffusen Beschwerden sollen probeweise für ein paar Monate auf eine glutenfreie Diät umsteigen. „Verschwinden die Beschwerden, wäre das ein klarer Hinweis auf Zöliakie“, sagt König.
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