Europa, deine Despoten

WEISSRUSSLAND Am Montag beraten die EU-Außenminister über Sanktionen gegen das Regime Lukaschenko

Der Termin: Am kommenden Montag treffen sich die EU-Außenminister in Brüssel, um über Sanktionen gegen Weißrussland zu beraten.

Das Problem: Am 19. Dezember 2010 wurde bei den Präsidentschaftswahlen offiziellen Angaben zufolge Amtsinhaber Alexander Lukaschenko mit 80 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt. Demonstrationen von Regierungsgegnern ließ er gewaltsam auflösen und über 700 Personen festnehmen. Rund 30 sind immer noch in Haft.

Die Reaktionen: Es gilt als wahrscheinlich, dass die EU Reiseverbote für Lukaschenko und weitere hohe Funktionsträger des Regimes aussprechen und deren Vermögenswerte einfrieren wird.

VON BARBARA OERTEL

Die Europäische Union hat im Umgang mit Despoten ihre liebe Not. Anfang der Woche wurde der usbekische Staatspräsident Islam Karimow bei EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und hohen Vertretern der Nato vorstellig – ein Mann, der zu Hause seine politischen Gegner wegsperren und systematisch foltern lässt. Die Menschenrechtsverletzungen waren zwar Gegenstand der Gespräche, doch angesichts der Zusammenarbeit im Energiesektor sowie in Sachen Transit für die Nato-Truppen nach Afghanistan wohl doch eher zweitrangig.

Im Falle von Weißrussland will Brüssel offensichtlich eine härtere Gangart einschlagen. Am 31. Januar beraten die EU-Außenminister über Sanktionen gegen das autoritäre Regime in Minsk. So könnten Staatschef Alexander Lukaschenko sowie weitere Amtsträger, Mitarbeiter von Justizorganen und Sicherheitsbehörden mit einem Einreiseverbot nach Europa belegt und deren dortige Vermögen eingefroren werden. Zudem wird darüber nachgedacht, gezielte Wirtschaftssanktionen gegen weißrussische Staatsbetriebe zu verhängen sowie Finanzhilfen des Internationalen Währungsfonds, der Europäischen Investitionsbank und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung auf Eis zu legen.

Anlass der plötzlich so intensiven Beschäftigung mit dem ungeliebten Nachbarn im Osten ist eine beispiellose Repressionswelle, mit der Lukaschenko sein Land seit einigen Wochen überzieht. Der Amoklauf des gelernten Vorsitzenden einer Kolchose, der Weißrussland seit 1994 regiert, begann am 19. Dezember 2010, dem Tag der Präsidentschaftswahlen. Die hatte Lukaschenko nach offiziellen Angaben mit 80 Prozent der Stimmen gewonnen. Tausende, die das anders sahen und auf den Straßen von Minsk gegen das Ergebnis protestierten, ließ der Autokrat auseinandertreiben, zusammenschlagen und festnehmen – rund 700 Personen. Über 30 sitzen immer noch im Gefängnis, darunter vier oppositionelle Präsidentschaftskandidaten. Bei einer Verurteilung wegen Aufwiegelung zu Massenunruhen drohen ihnen bis zu 15 Jahren Haft.

Doch dabei lässt es Lukaschenko nicht bewenden. Tagtäglich werden Menschenrechtsaktivisten, Oppositionelle und kritische Journalisten, die offizieller Lesart zufolge aus dem Westen ferngesteuert sind, eingeschüchtert, bedroht und manchmal auch festgenommen. Ihre Büros und Wohnungen werden durchsucht, die technische Ausstattung und sonstiges Material konfisziert.

Die EU jedoch setzte vergangene Woche Zeichen: Ihre Botschafter blieben der Vereidigung Lukaschenkos am 21. Januar fern. Einen Tag zuvor verabschiedete das EU-Parlament eine Resolution. Darin verurteilen die Abgeordneten die Gewalt gegen Demonstranten am 19. Dezember 2010 und fordern Sanktionen in Form von Einreiseverboten für Vertreter des Staatsapparates – und das Einfrieren ihrer Vermögenswerte. Aufgehoben sollen diese Maßnahmen erst, wenn alle politischen Gefangenen aus der Haft entlassen und von den Vorwürfen freigesprochen sind.

Zweifellos ist relativ schnelle, eindeutige Positionierung der EU positiv zu bewerten. Zudem sind Sanktionen derzeit die richtige Antwort auf die jüngsten Geschehnisse in Weißrussland. Dennoch kann dieser Schritt nicht darüber hinwegtäuschen, dass Brüssel eine konzise Strategie fehlt und Druckmittel nur begrenzt wirksam sind. Reiseverbote gegen Minsk verhängte die EU bereits 2006, als Lukaschenkos Handlanger Proteste gegen das Ergebnis der Präsidentenwahlen gewaltsam beendeten und Oppositionspolitiker, wie der Präsidentschaftskandidat Alexander Kozulin, ins Gefängnis wanderten. Als zwei Jahre später – und nicht zuletzt unter dem Druck von US-Wirtschaftssanktionen – Kozulin aus der Haft entlassen wurde, ruderte Brüssel zurück und setzte die Strafmaßnahmen aus.

Tagtäglich werden in Weißrussland Menschenrechtsaktivisten, Oppositionelle und kritische Journalisten eingeschüchtert, bedroht und manchmal auch festgenommen

Nun angesichts des derzeitigen Generalangriffs auf die Opposition eine Aufhebung der Sanktionen bereits im Falle einer Freilassung der Gefangenen in Aussicht zu stellen greift zu kurz: Brüssel macht sich damit erpressbar und gibt das Heft des Handels aus der Hand. Zudem befindet sich die EU in einem Dilemma, weil es nicht in ihrem Interesse sein kann, sich von Weißrussland abzuwenden. Brüssel ist auf eine Zusammenarbeit mit Minsk in Bereichen wie Energiesicherheit, Grenzschutz und Menschenhandel angewiesen. Zum anderen dürfte die zwangsläufige Hinwendung Lukaschenkos nach Russland die Chancen auf demokratische Reformen in Weißrussland eher verringern, geht es Moskau doch darum, die wirtschaftlichen Abhängigkeiten zu erhöhen – genauer: darum, dem Nachbarn die Preise zu diktieren, auch im Sinne politischer Einflussnahme.

So schwierig die Gratwanderung auch sein mag: EU-Sanktionen müssen einhergehen mit einem verstärkten Engagement für die weißrussische Zivilgesellschaft. Dazu gehören zuallererst Visaerleichterungen, denn diese wären ein wichtiges Signal für die Weißrussen: dass sie – anders als ihre Machthaber – willkommen in Europa sind.

Polen ist hier Vorreiter, hat die Visagebühren abgeschafft und plant eine Geberkonferenz für Anfang Februar. Dort soll über Projekte beraten werden, um die weißrussische Zivilgesellschaft zu fördern – der Startschuss für einen wirklichen Wandel.