Der Teufel trägt einen Dildo

KUNST Die Bremer Künstlerin Anja Fußbach lässt gleich mehrere Generationen ihrer Arbeiten zu einer Demonstration aufmarschieren. Recycling gehört ebenso zu ihrer Kunst wie Einflüsse aus Pop- und Trash-Kultur

„Damals hatte sich gerade die DDR aufgelöst, und es gab jede Menge Schrott von der NVA. Die Übungsgranaten, die ich da gefunden habe, waren perfekt für meine Insektenkörper“

Anja Fußbach

VON RADEK KROLCZYK

Eine seltsame Demonstration ist zurzeit in der Städtischen Galerie zu beobachten. Unter dem Motto „Serengeti darf nicht sterben“ haben sich rund 140 Demonstranten in einem der Ausstellungsräume zusammengefunden. Sie stammen alle aus dem Atelier der Bremer Bildhauerin Anja Fußbach. Die Serengeti-Proteste sind ihre aktuelle Ausstellung.

Seit mehr als 20 Jahren produziert die 1965 in Soltau geborene Künstlerin aus Abfällen, Schrott, Flohmarktfunden und Touristenkitsch ihre eigentümlichen Figuren. Dabei verwendet sie besonders gern Spielzeugfiguren, Masken, Waffen und Sextoys, die sie nicht selten zersägt oder zerschneidet und neu zusammenmontiert. Dabei entstehen Krokodile mit Puppenbeinen, ein Papa Schlumpf auf Stelzen, eine Kreuzung aus Mensch und Tiger. Oder ein aus Draht geformter achtbeiniger Käfer mit Kopf und Armen einer Barbiepuppe, der einen Kinderwagen schiebt – und ein Teufel trägt einen riesengroßen Dildo. Sie alle sind nun Teil von Fußbachs Demonstrationszug.

Einzeln betrachtet lassen sich die Figuren als wirkliche Individuen erkennen. Als Personen mit unverwechselbaren Charaktereigenschaften, kleinen oder großen Macken, die ihnen durch ihre Existenz zugefügt wurden, mit Schwächen, Stärken, Vorlieben und Perversionen. Die meisten von ihnen sind innerhalb der letzten acht Monate eigens für die Serengeti-Prozession im Atelier der Künstlerin auf dem Gelände des Güterbahnhofs entstanden. Nur wenige ältere Exponate hat sie für die Ausstellung recycelt. „Es ist ja eine Demo, und zur Demo sollen alle, also auch die alten gehen“, erklärt Anja Fußbach.

Die Alten – das ist vor allem eine fünfköpfige Erdmännchenfamilie. Verstreut sieht man ihre Mitglieder im Demonstrationszug, mit ihren aus Stahl zusammengeschweißten Körpern, Pelzmänteln und einer Handtasche, aus dem ein riesiger Butterkeks herausschaut. Die Pelztierchen hat Fußbach schon einige Male gezeigt, zwischen den Ausstellungen hausen sie in ihrer Wohnung. Jetzt ziehen sie entschlossen mit ihren neuen Freunden für den Erhalt von Serengeti durch den Ausstellungssaal im Buntentor. Wobei offen bleibt, ob damit der berühmte Nationalpark in Tansania gemeint ist – oder doch nur der Safari-Freizeitpark in Hodenhagen.

Denn für Pop- und Trashkultur interessiert sich Anja Fußbach seit eh und je. Und so kann auch ein Freizeitpark als Perversion des Nationalparks in den Status von etwas Schützenswertem gelangen. Auch Fußbachs Demonstranten sind im Grunde Gerettete – dem Vergessen und Verfall entrissen und reanimiert durch Neukontextualisierung und Modifikation.

Ein Verfahren, das konstituierend für die Arbeit der Künstlerin ist. Anja Fußbach gehört zu denjenigen Künstlern, die sich Form, Inhalt und Handwerk außerhalb der Akademien selbst erarbeitet haben. Vor über 20 Jahren begann sie, riesige Insekten aus Metallteilen zusammenzuschweißen. „Damals hatte sich gerade die DDR aufgelöst, und es gab jede Menge Schrott von der NVA“, erzählt sie. „Die Übungsgranaten, die ich da gefunden habe, waren perfekt für meine Insektenkörper. Ich habe dann aus den Dingern Ameisen gebaut, eine ganze Ameisenstraße. Dieses Marschieren der Käfer hat ja, genau wie die Granate, etwas Militärisches.“

Besagte Insekten, die im Laufe der Jahre an verschiedenen Orten auftauchten, unter anderem auch 1995 auf der Breminale, machten Anja Fußbach in der Bremer Kunstszene bekannt – und bald auch darüber hinaus. Gemeinsam mit dem Künstler Tobias Lange entwarf sie zu Beginn des vergangenen Jahres im Auftrag der Schwankhalle die „Havarie“, eine mobile und modifizierbare Kneipe. Die Stellwände bestehen aus beleuchteten Kunststoffplatten und zeigen verschiedene Fotografien der beiden Künstler. Das gesamte Mobiliar der Rauminstallation ist auf Rollen montiert. „Wir haben das Ding ‚Havarie‘ genannt, weil der Name so schön klingt. Und weil er mit Scheitern zu tun hat, was wiederum sehr nah an dem Konzept einer Kneipe dran ist“, so Fußbach. Und die dient bekanntlich manchmal ebenfalls zur Rettung. Nicht nur von weggeworfenen Spielzeugfiguren.

Einen Einblick in das Werk Fußbachs gibt die Dokumentation „Pilotin in Zwischenwelten – Kosmos Anja Fußbach“ von Monika B. Beyer, die in der Städtischen Galerie ebenfalls zu sehen ist.

■ bis 13. Juli in der Städtischen Galerie Bremen