DAS DING, DAS KOMMT
: Grobes Korn

DER 16-MM-FILM und seine ganz eigene Ästhetik sind jetzt Thema einer Ausstellung mitsamt Filmreihe in Hamburg

Digital kann heute jeder Filmemacher sein. Das Equipment liegt so massenhaft wie erschwinglich in Techniksupermärkten, Dreharbeiten kosten nur eine Akkuladung. Aber die hochauflösenden Bilder lassen die Welt häufig surreal idealisiert wirken – mit ihrer brachialen Schärfe, den brutalen Kontrasten und schmerzhaft grellen Farben. Prima für Werbelügen, Popcornkinofantasien, Selbstinszenierungen, Urlaubserinnerungen.

Ein anderer Inhalt benötigt eine andere Ästhetik und braucht andere Stofflichkeit. Porträts von Kriegsversehrten, Folgen der Nuklearkatastrophe in Tschernobyl, das zerstörte Sarajewo, der Charme von Gewerbegebieten, Reflexionen zur Experimentalfilmgeschichte, das Schicksal einer HIV-infizierten Drag-Queen, Psychoanalyse eines Terroristen oder Meditieren übers Revoluzzern im urbanen Raum – das sind Themen, die wohl kaum einer in geheimnislos strahlender 4K-Brillanz auf markplatzgroßen Leinwänden sehen möchte.

Es sind einige der vielen Themen, denen sich die aktuelle Ausstellung „A Paradise Built in Hell“ des Hamburger Kunstvereins mit 16-mm-Filmen widmet. Bis zum 7. September gibt es jeden Tag ab 18 Uhr eine Vorführung. Gegenüber dem oberflächengeil polierten Full-HD-Look wirken die Analogbilder wie ausgeblichen, als wären sie durch Morgentau-benetzte Fenster fotografiert.

1923 kam der 16-mm-Film auf den Markt, entwickelte sich in den Nachkriegsjahren zum Demokratisierungsmittel der Bilderproduktion: Überall erhältlich, einfach handhab- und bezahlbar, ideal fürs spontane Dokumentieren. Fast die ganze Umsonst-und-draußen-Show der 68er wurde in diesem Format verewigt.

Speerspitze der Bewegung sei die Hamburger Schule gewesen, en passant verweist der Kunstverein auf dieses undokumentierte Kapitel Filmgeschichte: Freunde der politischen, künstlerischen, sexuellen Veränderbarkeit der Welt hätten sich locker in kreativen „Kollektiven“ organisiert. 16-mm-Filmegucker, -macher-, -theoretiker seien es gewesen, die später auch das Metropolis-Kino gründeten.

Das lässt nun im Museum einen historischen Projektor rattern: Anachronistisch taktet die Perforation den Bildfluss wie ein unaufdringlicher Melancholieverstärker. Da bei 16 mm weniger Schnitte möglich sind als bei Youtube heute üblich, verbreiten die Streifen eine gelassene Rezeptionsatmosphäre.

Und überraschen: Es sind vor allem Werke aus diesem Jahrtausend. 16 mm ist kein Amateurfilmformat mehr, sondern teures Liebhabermedium für Profis; eine Kameraspule (30 Meter) kostet derzeit etwa 50 Euro. Gratis dazu gibt es die grafischen wie poetischen, mit annodazumaliger Auflösung und grobem Korn in die Tiefe gehenden Potenziale des filmischen Malens.JENS FISCHER

■ Ausstellung: Sa, 28. 6., bis So, 7. 9., Kunstverein Hamburg; Filmvorführung mit Diskussion täglich ab 18 Uhr