SOGAR DER HIMMEL WEINTE
: Fanmeile? Ist doch voll 2006!

VON JENS UTHOFF

Herrje. Da passt man einen Moment lang nicht auf, und dann brockt man sich die schlimmsten Dinge ein. Und plötzlich steht man da, auf der Höllenmeile dieser Stadt: mehrere hunderttausend Menschen auf einer Straße, die von einem südkoreanischen Autohersteller gesponsert wird und „Fan Park“ heißt. 2006 hieß sie einfach nur Fanmeile, und bald, wenn die vom Blatter-Sepp angekündigte interplanetare Fußball-Meisterschaft ausgetragen wird, heißt sie sicher Fan-Galaxie. Die Nasa wird Hauptsponsor.

Von jungem, singendem Fanvolk werde ich zu diesem letzten Gruppenspiel des deutschen Teams gegen die USA begrüßt – allerdings nicht auf der Meile, sondern auf der Bühne. Dort vorm Brandenburger Tor messen sich Schland-Anhänger in einer Art Fangesang-Contest. Ein junger Mann gibt gleich mal den anscheinend angesagtesten Fanmeilen-Hit zum Besten. Heiser grölt er: „Allee, Allee, Allee, Allee, Allee / eine Straße, viele Bäume / ja das ist eine Allee“. Ein Song mit viel Wahrheitsgehalt, vorgetragen mit dem Timbre eines röchelnden Kettenrauchers.

Ehe das Spiel losgeht, gibt es noch eine kurze Powackel-, Brasi-Feeling-Tanz- und Musikeinlage, Oceana nennen sich die gut draufen jungen Frauen, die bauchfrei auf der Bühne tänzeln und singen. Danach dröhnen die unvermeidlichen Toten Hosen aus den Boxen. „An Tagen wie diesen“ – ja, das werde ich später noch mehrmals denken, da sollte man vieles machen, aber nicht auf der Straße des 17. Juni Fußball gucken.

Nach eher harmlosem Hymnenmitgesumme geht das Spiel endlich los, und die ersten Minuten sind ja auch noch einigermaßen okay. Dann aber, beim langweiligen, kontrollierten Ballgeschiebe, widme ich mich den modischen Trends und stelle fest, dass auch die schwarz-rot-goldenen Mohawks und Hasenohren und Narrenkappen und Kopfschirmchen und Hütchen etwas angeödet vom Spiel sind. Ein in Deutschlandfahne gehüllter Mensch trägt Unterarmüberzieher-Socken – das Motiv: ein Tribal-Tattoo mit den Nationalfarben als Hintergrund. Hm.

Meine unmittelbare Nachbarin hat künstliche Fingernägel in Schwarz-Rot-Gold und mit Fußballmotiv. Aber sie mag vielleicht 13 Jahre alt sein oder so, da sei ihr das verziehen. Ihre Mutter scheint hingegen der einzig vernünftige Mensch auf der Fanmeile zu sein. Bei all dem Grölen und Schnacken der Schlandisten beschwert sie sich: „Wenn ihr quatschen wollt, jeht woanders hin!“ Richtig, wir waren ja zum Fußballgucken hier!

Aber das Spiel ist fad, und dann kommt auch noch der Regen. Das Wetter gleicht sich jenem am Spielort in Recife an. Die meisten Fans hüllen sich in blaue Müllsäcke. Die schwarz-rot-gelbe Fanschminke verläuft in den Gesichtern. Im Vorfeld hatte ich noch gelesen, Public Viewing und Fanmeile seien „so was von 2006“ – nun hätte ich mir zumindest wettermäßig etwas mehr 2006 gewünscht. Müller macht derweil das 1:0. Jubel und hüpfende Müllsäcke. Eine mit Schminkstiften bewaffnete Frau malt frische Fahnen in Gesichter. Um ein Haar gerate ich in ihre Fänge.

Das Spiel ist total nebensächlich. Eurosport rückt mit Kamera an, plötzlich springt eine eben noch ruhige Horde pubertierender Männer wie aufgescheucht und singt „So sehen Sieger aus“. Selbst nackte Oberkörper sind zu sehen, obwohl es kühl geworden ist. Eine junge Frau – klitschnass und am nächsten Tag mutmaßlich lungenentzündet – piept: „Und soooo – spielen Weltmeister.“ Ich gebe zu, ich bin auch ein wenig neidisch: Die haben alle rechtzeitig ihre Drogen genommen, ich habe die Ausgabe leider verpasst.

Nach dem Spiel treffe ich am Ausgang schließlich noch auf einige US-Amis. Sean und Allen aus Oklahoma tragen Stars-and-Stripes um die Schultern, haben es sichtlich genossen und sagen, es sei einmalig gewesen. Es gibt ja auch nur Gewinner bei diesem Spiel, die USA sind auch weiter. Es folgt noch ein bisschen Kirmesbums-Musik. Zurück ins Studio.

Heimmannschaft: Schland-Fans, Schland-Touris und Schland-Schulklassen

Gästeblock: alle anderen

Stadionimbiss: Pommes rot-weiß

Ersatzbank: leider nein.

Rote Karte: Nein, hier darf jeder rein.