„Rhetorik ist stärker als Realität“

taz: Herr Harmeling, sind die Pläne von Bundesregierung und EU angesichts der jüngsten Entwicklungen beim Klima ausreichend?

Sven Harmeling: Die Ziele klingen zunächst nicht schlecht: 40 Prozent CO2-Reduzierung bis 2020 in Deutschland und 30 Prozent in der EU wären ein großer Schritt nach vorn. Doch zum einen stehen diese Ziele noch nicht fest. Umweltminister Sigmar Gabriel knüpft die deutsche Selbstverpflichtung an die Bedingung, dass die EU mitzieht. Und in der EU gibt es noch Widerstände gegen das 30-Prozent-Ziel. Dabei wäre auch das nur ein erster Schritt. Notwendig ist eine Reduzierung der Emissionen um 80 Prozent bis 2050.

Und wie sieht es bis jetzt mit der Umsetzung aus?

Da bleibt die Politik in der Praxis in vielen Ländern weit hinter den Ankündigungen zurück: Die 15 westeuropäischen EU-Länder haben ihre Emissionen bisher im Vergleich zu 1990 gerade mal um 0,9 Prozent gesenkt – versprochen sind nach dem Kioto-Protokoll 8 Prozent bis 2012.

Welche Rolle spielt dabei die Bundesregierung?

Eine zwiespältige. In der Vergangenheit hat Deutschland mehr erreicht als andere. Doch derzeit ist die Rhetorik stärker als die Realität. Das zeigt sich etwa beim Streit um die Menge der Emissionsrechte für die Industrie, wo die Bundesregierung die verschärften EU-Vorgaben unter dem Druck von Teilen der Wirtschaft nicht akzeptieren will. Das muss sich wieder ändern: Wenn es mit dem Klimaschutz in Europa vorangehen soll, muss die Bundesregierung antreiben, statt zu bremsen.

Wie wird diese Diskussion in den Entwicklungsländern wahrgenommen?

Verursacher des Klimawandels sind überwiegend die Industrieländer, Leidtragende vor allem die armen Länder des Südens. Insofern sehen die Entwicklungsländer verständlicherweise eine Bringschuld der reichen Staaten. Die Industrieländer müssen selbst intensive und ernste Anstrengungen unternehmen und zeigen, dass emissionsarme wirtschaftliche Entwicklung möglich ist. Dann gibt es die Chance, dass auch die Schwellenländer ernsthaften Klimaschutz beginnen. Zudem erwarten die vom Klimawandel betroffenen Länder zu Recht, dass sie bei der Anpassung unterstützt werden. Den entsprechenden Beschlüssen der Klimakonferenz in Nairobi, die ohnehin nicht ausreichen, müssen Taten folgen.

INTERVIEW: MALTE KREUTZFELDT