Aus Milliarden werden Millionen

Die Gesundheitsreform führt nicht zu höheren Mehrbelastungen für die Südländer, sagt der Gutachter Bert Rürup

„Es gibt viele Gründe, den Gesundheitsfonds zu kritisieren – diese gehören nicht dazu“

BERLIN taz ■ Beim Gutachtenpoker hat Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) gestern einen Stich gemacht: Die von ihr bestellten Sachverständigen Eberhard Wille und Bert Rürup konnten in ihrer Studie keine milliardenschweren Mehrbelastungen für die Länder ausmachen. „Die Ergebnisse kommen sehr nahe an die Zahlen, auf die sich die Bundesregierung bisher gestützt hat“, sagte Schmidt (siehe Grafik).

Die Wissenschaftler hatten die Aufgabe auszurechnen, welche Summen 2009 aus dem Gesundheitsfonds in welches Bundesland fließen könnten. In dem Fonds sollen die Beiträge der Versicherten gesammelt und an die Krankenkassen umverteilt werden. Rürup und Wille entkräfteten mit ihrer Rechnung eine Kieler Studie, die den Ländern Bayern, Baden-Württemberg und Hessen Milliardenverluste in Aussicht stellte. Allein für Baden-Württemberg errechnete das Kieler Institut für Mikrodatenanalyse Kosten von etwa 1,6 Milliarden Euro. Rürup und Wille kamen auf Zusatzbelastungen von nur 92 Millionen Euro. Die gewaltigen Differenzen ergeben sich, weil die Kieler Wissenschaftler die Summen, die bereits jetzt umverteilt werden, mit eingerechnet haben, während Rürup und Wille nur zusätzliche Kosten nach Einführung des Fonds betrachten.

„Es gibt eine ganze Reihe von Gründen, den Gesundheitsfonds zu kritisieren – doch die Verteilungswirkungen gehören nicht dazu“, bilanzierte Rürup. Und das, obwohl sein Gutachten noch nicht einmal zeigt, wie das Geld aus dem Gesundheitsfonds im Jahre 2009 verteilt wird. Es simuliere nur, welche Umverteilungen stattfänden, wenn der Gesundheitsfonds bereits heute eingeführt würde. Was in zwei Jahren sei, könne niemand exakt berechnen, versuchte Rürup weiteren Zahlenfechtereien vorzubeugen.

Eigentlich findet der Gutachter die ganze Gutachterei sowieso fraglich: Der regionale Ansatz, der hinter den Bedenken der Unionsländer stehe, sei verfehlt: „Die Annahme, dass die Versicherungsbeiträge, die in einem Land entstehen, auch dort verausgabt werden, ist abwegig.“ Heißt: Eine Baden-Württembergerin kann sich längst in der AOK Sachsen anmelden. Über die Hälfte aller Versicherten ist sowieso bei Kassen Mitglied, die überregional operieren, zum Beispiel der Barmer. Ein Ende der Rechnerei ist trotzdem nicht abzusehen: Baden-Württemberg hat nun den Gesundheitsökonomen Jürgen Wasem beauftragt, ein Gutachten speziell fürs Ländle anzufertigen.

Derweil ist ein neuer Koalitionskrach in Aussicht: Ab Montag werden SPD und Union sowie die Gesundheitsministerin aushandeln, wie der Basistarif für die private Krankenversicherung ausgestaltet werden soll. Die Koalition hat vereinbart, dass die privaten Versicherungsunternehmen ehemaligen Mitgliedern, egal wie krank, die Rückkehr zu einem bezahlbaren Preis ermöglichen sollen. „Hier kommt es auf die Formulierungen an“, erklärt CSU-Gesundheitsexperte Wolfgang Zöller, warum es nun wieder Streit gibt. Die Union will den Kreis jener, die vom Basistarif profitieren, möglichst gering halten. ANNA LEHMANN