Danke, wir übernehmen

AUFSTIEG Ursula von der Leyen fliegt in den Krieg, Andrea Nahles singt ein Lied. Wie es vier der mächtigsten Frauen Deutschlands ganz nach oben schafften

■ Die Nullen: In den Parlamenten von Katar, Mikronesien, Palau und Vanuatu sitzen keine Frauen. Ohne weibliche Regierungsmitglieder sind Bosnien-Herzegowina, Brunei, Libanon, Pakistan, San Marino, Saudi-Arabien, die Salomonen und Vanuatu. Auf der ganzen Welt gab es bis 1960 keine demokratische Regierungschefin.

■ Die Streber: Ruanda ist das einzige Land mit Frauenmehrheit im Parlament: 63,8 Prozent. Nach dem Völkermord vor 20 Jahren gab es dort doppelt so viele Frauen wie Männer. Nicaragua hat den höchsten Anteil von Frauen an der Regierung: 57 Prozent. Acht Ministerinnen und sechs Minister hat das Kabinett.

VON ANJA MAIER

Name: Ursula von der Leyen Position: Bundesverteidigungsministerin Weg zur Macht: sucht Zustimmung von allen, außer der CDU vertraut auf: Vertraute

Wenn Ursula von der Leyen einen neuen Job beginnt, sucht sie als Erstes ein Instrument. Sie habe gelernt, sagt sie, dass es immer ein geschickt gewähltes Werkzeug braucht, um ihre Politik durchzusetzen. Und das lange bevor sie im Dezember des vergangenen Jahres die größte Nachricht der neuen Großen Koalition wurde: Ursula von der Leyen übernimmt das Verteidigungsressort.

In ihrer Partei ist von der Leyen jetzt die mächtigste Frau hinter der Kanzlerin. Sie könnte einmal die mächtigste Frau werden. Der CDU. Deutschlands.

Es ist morgens um neun im Bendlerblock in Berlin. Draußen im hohen Flur hängen die Porträtfotos aller bisherigen sechzehn Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland. Der Sozialdemokrat Rudolf Scharping grüßt aus dem vergangenen Jahrzehnt herüber, ein gewisser Karl-Theodor zu Guttenberg lächelt ins gedämpfte Licht. In ihrem Büro sitzt Ursula von der Leyen, 55, am Besprechungstisch. Der Blick geht hinaus in den Hof mit seiner kasernenhaften Fassade. An der Wand stehen die Flaggen Europas, Deutschlands und der Nato schlaff in einem Ständer. Die Ministerin ist dezent geschminkt. Sie hat ihre Hände ineinandergelegt, sie wartet auf Fragen. Ihre Zeit ist knapp.

Es soll um die Macht von Frauen gehen. Angela Merkel hat vorgemacht, wie eine Frau in diesem Land an die Spitze gelangen kann. Viele Frauen sind ihr gefolgt. Ihrem neuen Kabinett gehören fünf Ministerinnen an. Fünf von fünfzehn. Nie war Spitzenpolitik in Deutschland so weiblich.

Da ist Ursula von der Leyen, die 2005 aus Niedersachsen als Familienministerin nach Berlin kam. Und da ist die mächtigste Ministerin der SPD: Andrea Nahles. Eine Oppositionsfraktion wird von Sahra Wagenknecht mit geführt, die andere von Katrin Göring-Eckardt.

Woraus erwächst die Macht dieser Frauen?

„Wenn du etwas erreichen willst, musst du über das kluge Instrument nachdenken“, sagt Ursula von der Leyen.

„Ich verliere nicht gern“, sagt Andrea Nahles.

„Ich bin niemand, der nett lächelt, wenn die Herren reden“, sagt Sahra Wagenknecht.

„Ich überzeuge eher, statt Ansagen zu machen“, sagt Katrin Göring-Eckardt.

Im Januar, Ursula von der Leyen war noch neu im Amt, reiste sie nach München zur Sicherheitskonferenz, um dort eine Rede zu halten. Wolfgang Ischinger, der Chef der Konferenz, stellte von der Leyen vor: als ehemalige Ministerin für „family affairs“. Minister, Generäle und Rüstungslobbyisten kriegten sich fast nicht wieder ein.

Als sie mit dem Kichern fertig waren, legte von der Leyen los. Mit dem Satz „Gleichgültigkeit ist keine Option“ verließ sie die bisherige Linie der deutschen Zurückhaltung bei Auslandsmissionen. Die Herren im Parkett applaudierten.

Ein Anfang. Aber was sollte dieses Mal ihr Instrument sein? Und für welche Politik? Diese Fragen bleiben bis heute.

„Beim Elterngeld waren die Vätermonate das kluge Instrument“, sagt Ursula von der Leyen in ihrem Büro und schaut zufrieden. Sie beugt sich leicht nach vorn und lächelt: „Über das verbriefte Recht darauf hat sich das Bedürfnis nach Zeit mit dem Kind Bahn gebrochen.“

Weiß Gott nicht alle sahen das so. In der CDU stritten sie sich heftig, ob ausgerechnet die konservative Volkspartei sich für Kitaausbau und Erziehungszeit für Männer profilieren soll. Was würde als Nächstes kommen? Die Frauenquote? Doch die Kanzlerin stand hinter der Familienministerin.

Als bekannt wurde, dass Ursula von der Leyen Verteidigungsministerin werden würde, galt das zunächst als Coup Merkels. Eine Frau. In diesem Ministerium. Es wirkte aber auch wie eine Bewährungsprobe. Von der Leyens Vorgänger Thomas de Maizière hätte sein Ministerium mit der Affäre um die Drohne Euro Hawk fast zur Strecke gebracht.

Dann war im Internet, in verschiedenen Medien, getuschelt auch in der Politik, von „Panzer-Ursel“ die Rede und von der „Mutter der Kompanie“.

Von der Leyen reagierte wie immer, wenn ihr etwas nicht zugetraut wird. Überraschen, Bilder produzieren. Sie setzte ihr Das-ist-hier-kein-Spaß-Gesicht auf und flog kurz vor Weihnachten zu den Bundeswehrsoldaten nach Masar-i-Scharif. Dort sah man sie mit leicht derangierter Frisur zwischen Flecktarnuniformen am Frühstückstisch sitzen.

Sie sagt, sie habe um sich herum fünf, sechs, sieben Personen, denen sie hundertprozentig vertraue. Es erinnert an die Strategie Merkels: ein enger, verschwiegener Kreis. Dieses Team soll den Weg aus Krisen herausfinden. Wird die Presse zu verheerend und das Raunen in Partei und Fraktion zu laut, sorgen ihre Leute dafür, dass die schlimmste Häme sie nicht erreicht. „Ich brauche Menschen um mich, die nicht wie das Kaninchen auf die Schlange starren, wenn’s gerade richtig brummt“, sagt sie. „Gegenargumente will ich wissen, aber persönliche Angriffe blockieren das klare Denken und Handeln.“

Wichtig sei auch, „die Bewegung nach vorne zu machen. Man muss weitergehen, um die Festigkeit der Haltung zu unterstreichen.“

Nicht stehen bleiben. Truppen sammeln. Weiter.

Das macht sie anders als Merkel. Von der Leyen scheut offene Auseinandersetzungen nicht. Nicht mit der eigenen Partei, wie beim Kitaausbau. Nicht mit den mächtigen Bürokratien in Berlin.

Im Februar entließ die Ministerin ihren Rüstungsstaatssekretär – nach all den Pleiten um Flugzeuge und Drohnen. Als Nachfolgerin ist eine Frau von McKinsey im Gespräch.

In der Bundestagsfraktion der CDU hat von der Leyen, abgesehen von einigen als eher links geltenden Frauen, nicht allzu viele Unterstützer. Die Überfliegerin sucht keine Hilfe bei den Bodentruppen. Familientradition, schon ihr Vater, der ehemalige niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht, galt den eigenen Leuten als unnahbar. Um so wichtiger ist die Zustimmung der Öffentlichkeit, die ist von der Leyens Währung der Macht.

Bis heute hält die Kritik an, die Superministerin betreibe auf Kosten bürgerlicher Grundüberzeugungen Schaufensterpolitik allein mit Blick auf die Wähler. Vor allem auf die Wählerinnen.

Denen ist Ursula von der Leyen präsent als eine, die in der Lage ist, aus persönlicher Anteilnahme heraus konkrete Politik für sie durchzusetzen. Es ließe sich auch sagen, dass sie ihre wichtigsten politischen Vorhaben aus sich selbst heraus begründet. Aus ihrer Biografie. Ihr Einsatz für die Familie ist mit dem Bild der Mutter von sieben Kindern hinterlegt, die Geschichte ihres an Alzheimer erkrankten Vaters macht die Runde durch Fernsehen und Boulevardzeitungen. Das beste Instrument Ursula von der Leyens ist ihr eigenes Leben.

Den schmutzigen Rest erledigt sie geräuscharm: gefallene Soldaten, zivile Opfer, Rüstungsmilliarden.

Es ist nicht unbedingt ihre Bilanz, die überzeugt. Das Elterngeld, das seit 2007 jungen Leuten Lust aufs Kinderhaben machen soll, kostet derzeit um die 5 Milliarden Euro pro Jahr. Die Geburtenrate ist dennoch kaum gestiegen. Im Kampf für Internetsperren und gegen Kinderpornografie scheiterte sie als „Zensursula“. Sie sieht mittlerweile selbst ein, dass sie dabei das falsche Mittel gewählt hatte. Ihr „Bildungspaket“, ein Almosenprogramm für Hartz-IV-Kinder, geriet zum Bürokratiemonster. Und als die neue Verteidigungsministerin kürzlich ihre Attraktivitätsinitiative für die Bundeswehr als Berufsarmee vorstellte, bescheinigte ihr ein früherer Generalinspekteur der Bundeswehr, sie habe „offensichtlich keine Ahnung vom Militär“.

In der Bundespressekonferenz reagierte sie darauf mit diesem Sound, der ihre Kritiker fast wahnsinnig werden lässt: Sie verlangsamte ihr Sprechtempo, nahm die Journalisten ins Visier und sagte, sie empfange „Briefe und E-Mails“ von den Soldaten. „Das sind Menschen, von denen wir viel verlangen. Die wollen Antworten!“

Ursula von der Leyen kann sehr viel Wärme in ihre Worte legen. Es klingt dann immer so, als kümmere sie sich.

„Man muss innerlich akzeptieren“, sagt von der Leyen an diesem Morgen in ihrem Büro, „nicht jeder Angriff gilt dir persönlich, du bist auch Projektionsfläche in der größeren Debatte. Das habe ich mir antrainiert.“

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Name: Andrea Nahles Position: Bundesarbeitsministerin Weg zur Macht: keine Angst vor Peinlichkeit vertraut auf: den Apparat

Zwei Kilometer von Ursula von der Leyen entfernt sitzt eine andere Ministerin in ihrem Büro. Ein kleinerer Raum als das saalartige Domizil der CDU-Frau. Es ist ein warmer Nachmittag, Andrea Nahles hat ihr sehr buntes Jackett über die Lehne ihres Stuhls gehängt, die Ministerin lässt Wasser und Cappuccino bringen, dazu gibt es Kekse in grellen Farben.

Nahles hat das Fenster weit geöffnet, von dem warmen Junitag ist in den hohen Räumen des einstigen Reichspropagandaministeriums kaum etwas zu spüren. Wie sie, die einstige Juso-Chefin und SPD-Generalsekretärin, hierhergekommen ist, hat sehr viel mit Beharrungsvermögen zu tun. „Das möchte ich gar nicht philosophisch aufblähen“, sagt Nahles, „das ist eine ganz solide Sturheit, die braucht man in diesem Job.“

Andrea Nahles, 44, aus Weiler in der Eifel, ist seit dem 17. Dezember Bundesarbeitsministerin. Die Sozialdemokratin freute sich darüber. Tierisch, wie sie das formulieren würde. Die Tochter eines Maurers und einer Finanzangestellten umweht jener raue Charme der Sozialdemokratie, den viele ihrer Genossinnen und Genossen gern abstreifen würden. Nahles ist laut, lacht laut, sie hat das Pippi-Langstrumpf-Lied im Bundestag gesungen. Sie flucht gern.

Andrea Nahles führt jetzt ein Ministerium, das als hart gilt. Als Ressort, das viele Steuermilliarden kostet und zu dem man früher gesagt hätte, es fordere „den ganzen Mann“. Es geht hier um Sinnstiftendes, auch Archaisches: Arbeit und Respekt vor dem Alter, Würde und Zwang. Es geht um sehr viel Macht.

Mindestlohn, Rente mit 63, Mütterrente – Nahles muss sowohl die sozialen Verheißungen der Sozialdemokratie als auch die steuerlichen Zumutungen der Union exekutieren. „Bei Männern wird das Laute als durchsetzungsfähig, stark beschrieben“, sagt sie, wippt auf dem Stuhl leicht vor und zurück und verschränkt ihre Hände im Nacken. „Bei Frauen ist es immer zu viel. Bist du aber nicht stark als Frau, dann übergehen sie dich.“ Da ist sie lieber laut. Bisher hat es funktioniert.

Als Generalsekretärin im Willy-Brandt-Haus musste sie nicht nur den Bundestagswahlkampf managen, sondern auch mit dem Parteivorsitzenden um die Hausmacht ringen. Sigmar Gabriel und Andrea Nahles waren einander in tiefer Abneigung zugetan; der Niedersachse und die Rheinland-Pfälzerin sind beide Egomaschinen. Spitzenkandidat Peer Steinbrück hatte erklärt, ohne die Generalsekretärin seiner Partei wäre sein Leben „genauso reich wie heute“. Noch kurz vor dem Wahltag wurde durchgestochen, ein schlechtes Ergebnis werde Nahles übergebügelt, um den Vorsitzenden zu schützen.

Andrea Nahles wurde die Nachfolgerin Ursula von der Leyens.

Gibt es etwas, das die Sozialdemokratin mit ihrer Vorgängerin verbindet? Eine Gemeinsamkeit, die darauf verweisen könnte, wie Frauen Macht erlangen und erhalten?

„Wenn es ein weibliches Politikprinzip gibt, tun Frauen eine Menge dafür, dass es nicht auffällt“, sagt Andrea Nahles trocken.

Sie verlasse sich auf die Strukturen des Ministeriums. Anders als von der Leyen, die auf ihren Zirkel setzt. Und während die konservative Ministerin vor allem erfolgreich wirkt, hat Nahles tatsächlich Erfolg.

Im ersten gewählten Parlament Deutschlands, dem Paulskirchenparlament, tagen nur Männer Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung

41 Frauen werden in die Weimarer verfassunggebende Versammlung gewählt. Das entspricht 9,6 Prozent der Abgeordneten Quelle: BPB

Unter der NSDAP hat nur eine Frau ein politisches Amt inne. Ab 1934 ist Gertrud Scholtz-Klink Reichsfrauenführerin Quelle: BPB

Hilde Benjamin wird die erste Ministerin der DDR. Ihr Vorgänger galt als zu weich im Umgang mit den Aufständischen des 17. Juni Quelle: PM-Magazin

Die erste Ministerin der Bundesrepublik wird vereidigt. Elisabeth Schwarzhaupt,CDU, wird Bundesgesundheitsministerin Quelle: PM-Magazin

Angela Merkel wird erste deutsche Bundeskanzlerin. Eine Bundespräsidentin hingegen gab es in Deutschland noch nie Quelle: Deutscher Bundestag

Mit Hochgeschwindigkeit hat sie die bisher wichtigsten Projekte der Großen Koalition durchgedrückt. Rente mit 63, Mindestlohn. Selbst die unionsnahe Welt hat sie das erfolgreichste Mitglied des Kabinetts genannt. Vielen Hauptstadtjournalisten gilt sie nun als die starke Frau der SPD.

Nahles wird das Gefühl trotzdem nicht los, dass die Angriffe anhalten. „Man kann noch so oft seine Kompetenz unter Beweis stellen“, sagt Nahles, „aber als Frau muss man immer wieder von vorne anfangen.“ Das wurme sie weit mehr „als das ständige Reden über Äußerlichkeiten“.

Ihre Mutter war eine der wenigen Frauen in ihrem Dorf, die voll gearbeitet haben. „Mir schien das normal. Erst später merkte ich: Es gibt auch Mütter, die arbeiten nicht.“ Die Mutter hat auch die Finanzen im Hause Nahles geregelt. „Das war wichtig für das, was ich mir selbst zugetraut habe.“

2005 wagte Nahles, gegen Franz Münteferings Wunschkandidaten für das Amt des SPD-Generalsekretärs anzutreten. Müntefering war dermaßen erbost, dass er nicht erneut als Vorsitzender kandidierte. Nahles hatte nicht brav gewartet, bis man ihr einen Frauenplatz anbot. Seither haftet ihr der Ruch der Königsmörderin an. Selbstermächtigung gilt als Malus unter den Genossen.

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Eine Forschungsgruppe vom Wissenschaftszentrum Berlin hat nachgefragt, woher Spitzenkräfte ihr Beharrungsvermögen nehmen. Was sie geprägt hat und was sie hält im Moment der Krise. Kurz gesagt: Mama und Papa sind schuld.

Macht bedeutet Anerkennung; und sowohl Anerkennung als auch die Sehnsucht nach ihr entsteht zuerst in der Familie. Die Wissenschaftlerinnen haben drei „Erfolgstypen“ ausgemacht. Die sogenannten Selbstentfalter hatten von Kindesbeinen an ein spielerisches Verhältnis zur Macht. Ihre Eltern sind erfolgreich und ökonomisch unabhängig – ihre Kinder stoßen selbstbewusst in die Zirkel der Macht vor.

Ursula von der Leyen ist eine Selbstentfalterin, ihre Familie gehörte schon zu Zeiten des Kurfürstentums Hannover zur Elite. Sie sagt: „Ich hatte die Riesenfortune, nie in der Opposition zu sein.“

Der zweite Typ, sogenannte Selbstentgrenzer, will explizit „etwas werden“; sein Maßstab ist die Frage, was getan werden muss, damit seine Leistung gesehen und anerkannt wird. Die Eltern der Selbstentgrenzer sind häufig Bildungsaufsteiger.

Andrea Nahles ließe sich als Selbstentgrenzerin einordnen. Als Rot-Grün 1998 an die Macht kommt, ist sie 28. „So, und du bist dabei“, hat sie damals gedacht. „Ein gutes Gefühl.“

Dann gibt es noch den Typ drei. Dessen Triebkraft ist vergleichsweise archaisch. Der „Selbstbehaupter“ sucht die Bewährungsprobe, um soziale Anerkennung zu erzielen. Für sie oder ihn ist die eigene Herkunft oft negativ besetzt, private Wurzeln gilt es zu überwinden.

Manche Selbstbehaupter haben in ihrer Kindheit Entzug oder Verlust erfahren. In ihrem späteren Berufsleben leitet sie die Überzeugung, wegen ihrer außergewöhnlichen Begabung für Spitzenjobs prädestiniert zu sein. Scheitern sie, denken sie: „Jetzt erst recht.“

„Jetzt erst recht.“ Es könnte ein Leitsatz der Sahra Wagenknecht sein.

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Name: Sahra Wagenknecht Position: Stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag Weg zur Macht: maximale Selbstkontrolle vertraut auf: sich selbst

Die „1. Stellvertretende Fraktionsvorsitzende“ der Linkspartei sitzt in ihrem Büro und sagt: „Wenn ich wirklich mal denke, ihr könnt mich mal, fällt mir im selben Augenblick ein, dass es Leute gibt, denen ich damit einen Riesengefallen täte. Und den möchte ich ihnen nicht tun.“

Sahra Wagenknecht hat durchgedrückt, dass dieses „1.“ vor ihrem Titel steht. Sie ist die Frau direkt hinter Gregor Gysi. Zusammen führen sie die Opposition an, die Linke lag bei der Bundestagswahl vor den Grünen. Im kommenden Jahr, raunen sie schon heute in der Partei, soll Gysi sich als Fraktionsvorsitzender zurückziehen. Wagenknecht könnte ihn dann beerben.

Die Linke ist tief gespalten. Partei und Fraktion sind übersichtlich, da geht jede Intrige doppelt tief. „Ich will mit meinen Argumenten und Positionen wahrgenommen werden“, sagt Wagenknecht, kerzengerade Körperhaltung, dunkle Augen, dunkle Steckfrisur.

Wagenknecht gilt als die schöne Kommunistin: kühl, klug, gefährlich. Sie ist zudem die Lebensgefährtin von Oskar Lafontaine, dem lange Zeit mächtigsten Mann ihrer Partei. Darum, ob er sie auf ihrem Weg vorangebracht habe, gab es manch böses Wort, was Nachrede, was Wahrheit war, lässt sich bis heute nicht genau sagen.

Mit ihrem Thema Wirtschaftspolitik ist sie in ein „vorgeblich männliches Thema“ vorgedrungen. „Ich will was“, sagt sie, „und da hat man natürlich Feinde. Aber wer glaubt, dass man als Frau mit seinem Gesicht Karriere in der Politik machen kann, hat einfach nicht kapiert, wie Politik funktioniert.“

Als Teenagerin, mit 13, hat sie ein Jahr geraucht, getrunken, getanzt. Nach dem Jahr beschloss das Mädchen Sahra, deren iranischer Vater schon früh aus ihrem Leben verschwunden war, eine andere zu werden. Sie erzählt von ihren Jugendbesäufnissen wie ein Chemikerin von einem Laborversuch. Sie habe „Alkohol getestet und die Wirkung festgestellt“. Nach einem Jahr habe sich das erschöpft: „Ich dachte, das ist nicht das, was ich mit meinem Leben anfangen will.“ Was wollte sie stattdessen?

Sie sagt, als Teenagerin habe sie überlegt, Mathematikerin zu werden, was „Kniffliges“ machen. Als junge Frau sei sie dann den Büchern verfallen: „Ich hatte eine rein denkerische Perspektive aufs Leben.“

Das klingt nach Entwicklungsroman. Aber wer Sahra Wagenknecht begegnet, merkt: Sie hat das Überschwängliche ausgeschaltet – und die Kontrolle an.

Im Januar saß sie bei „Markus Lanz“ im ZDF, der wollte sie an die Wand reden. „Raus aus dem Euro oder rein?“ Immer wieder dieselben Fragen. Der Stern-Journalist Hans-Ulrich Jörges sekundierte. Wagenknecht ertrug es.

Über Situationen wie diese sagt sie: „Natürlich habe ich manchmal das Gefühl, ich würde am liebsten aufstehen und dem eine runterhauen. Weil es so unterirdisch ist, was man sich anhören muss. Aber sie hätten damit etwas geschafft, was ich nicht zulassen will.“ Denn, so sagt Sahra Wagenknecht, „eine Frau, die laut wird, verliert viel mehr als ein Mann, der laut wird“.

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Name: Katrin Göring-Eckardt Position: Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Bundestag Weg zur Macht: Kopieren und Kooperieren vertraut auf: Gott

Ausgerechnet als die Grünen als Steuereintreiberpartei gerupft aus der Bundestagswahl hervorgingen, beschloss die Spitzenkandidatin Göring-Eckardt, Fraktionschefin zu werden. Ihre Gegenkandidatin war Kerstin Andreae, baden-württembergische Reala und Wunschkandidatin von Winfried Kretschmann, dem einflussreichen Ministerpräsidenten. An ihm, dem einzigen grünen Landesfürsten, kam eigentlich niemand vorbei. Zumal er vor dem Steuerkurs gewarnt hatte.

Aber Göring-Eckardt blieb stur. „Wenn mir vor ein paar Jahren jemand Einflussreiches gesagt hätte: Fraktionsvorsitzende, das kannst du nicht werden, hätte ich mich vermutlich zurückgezogen“, sagt sie. „Heute kann ich eher unterscheiden, was ein guter Rat ist und was einfach Machtpolitik.“

Sie hat ihre Netzwerke genutzt, hat für sich geworben, sie gewann mit 41 zu 20 Stimmen. Sie muss nun dafür sorgen, dass die Grünen trotz der übermächtigen Großen Koalition nicht vergessen werden.

Die Fraktionsvorsitzende und ihr bayerischer Kollege Anton Hofreiter sind nicht laut wie der röhrende Jürgen Trittin und die schimpfende Renate Künast. Göring-Eckardt ist schon mehrfach bedeutet worden, sie möge mehr auf den Pudding hauen. Sie sagt: „Weder rumschreien noch heulen führen zu etwas.“ Abgesehen davon liege ihr das gar nicht unbedingt.

■ Die Ansage: Die Wissenschaftlerin Jennifer Lawless sagt, dass Frauen in politischen Ämtern so erfolgreich sind wie Männer.

■ Das Problem: Lawless hat herausgefunden, dass Frauen mehr an sich zweifeln und sich deshalb nicht zur Wahl stellen. Sind sie also selbst dafür verantwortlich, dass es nur wenige Politikerinnen gibt?

Lesen und diskutieren Sie im Netz: taz.de/frauenmacht

Dennoch gilt „KGE“ als machtbewusst, auch in eigener Sache. Wie macht sie das? „Wenn’s hart zugehen muss, geht’s hart zu, da kann man laut und deutlich werden“, antwortet sie.

Ihr Büro ist schön gelegen, Blick auf den grünen Tiergarten. Auf dem Schreibtisch steht ein Holzkreuz, Fotos ihrer Familie, in den Regalen viel Wendeliteratur: Zeitzeugenberichte, Essays. Göring-Eckardt gehörte der Bürgerrechtsbewegung in der DDR an, der Umbruch hat sie in die Politik geführt. Göring-Eckardt, die Frau im schilffarbenen Kostüm, ist gerade wieder Großmutter geworden, mit 48. In einer Nische lehnt ein Trampolin. Da hüpft die grüne Fraktionsvorsitzende von Zeit zu Zeit. Sie sagt, so könne sie die Sorgen nach unten abschütteln.

Katrin Göring-Eckardt hat von Joschka Fischer gelernt, der heute halb mitleidig, halb angewidert von der Seitenlinie das Treiben der Grünen verfolgt. Er protegierte die Thüringerin nach der Wiedervereinigung. Mitte der Neunziger, mit dem Beginn von Rot-Grün, wurde sie Mitglied des Bundestags und Parlamentarische Geschäftsführerin, zu Beginn der zweiten rot-grünen Legislatur gar Fraktionschefin. Ohne Fürsprecher hätte das nicht funktioniert. Sie war souverän genug, sich helfen zu lassen.

Und sie lernte vom Erfolg der anderen. Sie hat sich angeschaut, wie Fischer seine Macht ausübt. Die „Methode Schwamm“ hat sie sich abgeguckt: „Mit vielen Leuten reden, deren Ideen aufsaugen und die Lösung im richtigen Augenblick mit voller Kraft aus dem Schwamm herausdrücken.“ Mit einer „wesentlichen Modifikation“, sagt sie: „Ich nenne die Urheber.“ Fischer habe immer gesagt, „was für ein Scheiß, so ein Unsinn“. „Und ein paar Wochen später hörte man das von ihm eins zu eins als seine eigene Idee.“

Wer stützt sie, wenn es hart auf hart kommt?

Gott, sagt sie.

Ihre Stimme wird noch etwas leiser als ohnehin. „Ich bin halt ein religiöser Mensch. Das hilft mir total. Im Zweifelsfall zu wissen, da gibt’s immer noch was, wo du hingehen kannst.“

Das Gefühlige ist nicht ihres. Jedenfalls nicht im Job. Das wird der Machtfrau Göring-Eckardt des Öfteren vorgehalten.

Dennoch, sagt sie, gehe es langsam aufwärts, der Vorwurf, Frauen seien zu emotional oder zu wenig emotional, komme heute seltener. Es folgt ein bemerkenswerter Satz: „Wahrscheinlich haben wir das auch Merkel zu verdanken.“

Angela Merkel, die Messgröße. Frau aus dem Osten, sechzig Jahre alt, kinderlos. Machtbewusst, weil sie Konkurrenten aus dem Weg räumt. Mütterlich insoweit, als sie still bereinigt, was stört. Zu unemotional für manche, pragmatisch genug für ein sehr gutes Wahlergebnis. Seit achteinhalb Jahren Kanzlerin.

„All die Vorwürfe: kann nicht reden, wie sieht die denn aus. Wenn eine Frau wie sie dreimal Kanzlerin werden kann, sind diese Vorwürfe nicht mehr so brutal“, sagt Göring-Eckardt.

Politikerinnen kann es heute weitgehend wurscht sein, wie sie als Frau rüberkommen. Weil sie sagen, wo es langgeht, und weil sie längst keine Einzelfälle mehr sind, keine Quotenfrauen.

Ursula von der Leyen hat Frauennetzwerke. Die Verteidigungsministerin sagt, das seien die, „die sagen, du machst es richtig, bleib aufrecht stehen“. Aber klar, „es braucht auch Netzwerke mit Männern.“

Andrea Nahles sieht zu viel Zurückhaltung. „Junge Frauen glauben oft, sie müssen hundertprozentig sicher sein, dass sie es können. Aber so ist das Leben nicht. Man kann auch mal scheitern. Es trotzdem probieren – das ist mein Rat.“

Sahra Wagenknecht sagt, es sei nie ihre Stärke gewesen, „besonders gut zu netzwerken. Ich hab mich immer drauf verlassen, dass Leute sagen, die kann was und die strahlt was aus.“

Auch Katrin Göring-Eckardt setzt auf die Verbindungen zu Frauen, aber „man braucht immer auch gemischte Netzwerke“. „Ich bin den Frauen der Bewegung aus der alten Bundesrepublik dankbar, dass ich nicht dauernd kämpfen muss“, sagt sie. „Ich kann heute sagen, so isses, und dann ist es so.“

■  Anja Maier, 48, ist Parlamentskorrespondentin der taz. Auch sie war schon einmal Chefin und leitete die sonntaz