Terrorhelfer in Öl

Die vermutlich letzte Runde: Nach vier Jahren Dauerverhandlung eröffnete das Hamburger Oberlandesgericht gestern den wohl letzten Prozess gegen Mounir El Motassadeq. Die Weltpresse ist versammelt und fragt sich, was sie hier eigentlich noch soll

Das Geschehen, das wohl als Weltereignis bezeichnet werden muss, sieht folgendermaßen aus: In einem Saal mit schwerem, dunklem Gestühl betet ein Rechtsanwalt interne Details eines Geschäftsordnungsplans herunter, während der Opfervertreter gegenüber ausgiebig seine Fingernägel inspiziert. Es geht darum, einen Mann, der die Weltordnung nachhaltig erschüttert haben soll, für lange Jahre hinter Gitter zu schicken. Der Terror aber könnte kaum weiter entfernt sein als in seinem direkten Angesicht an diesem Tag.

Mit seinem Prozess ist auch Mounir El Motassadeq in die Jahre gekommen. Der Marokkaner, guter Freund der 11. September-Todesflieger, erträgt die Verhandlung mit der Ausdauer eines Schülers, der die verhasste Mathestunde über sich ergehen lässt. Der Bart ist länger geworden und reicht ihm fast bis auf die Brust. Der jugendlich-naive Ausdruck seines Gesichts, der zum Auftakt dieser Justizgeschichte vor nunmehr vier Jahren noch die Frage aufwarf, ob Motassadeq um den Ernst seiner Lage weiß, ist einem leicht verstörten Blick gewichen. Der 32-Jährige blickt in die Runde, als sei ihm schlagartig bewusst geworden, dass aus Spiel Ernst geworden ist. Das Oberlandesgericht (OLG) hatte ihn als Terrorhelfer zu sieben Jahren Haft verurteilt. Zu wenig, befand der Bundesgerichtshof (BGH) und verlangte eine höhere Strafe. Jetzt geht es um 15 Jahre Gefängnis.

Die Rahmendaten dieser Verhandlung sind von höchster Brisanz: Al Quaida, 11. September, Terror und die islamistische Gefahr. Die weltpolitische Bedeutung ist dennoch mehr an der Inszenierung des Prozesses, als an diesem selbst abzulesen. Schon Stunden vor Beginn ist das Gerichtsgebäude von Übertragungswagen der Fernsehsender umzingelt. Je weiter weg der 11. September rückt, desto schärfer werden die Sicherheitsvorkehrungen. Als weiteres Detail in der schon immer gründlichen Kontrolle der Journalisten ist nun hinzugekommen, dass diese ihre Taschen Meter vor dem Verhandlungssaal in Spinde einschließen müssen. Das an sich ist natürlich kein Problem. Es wird es aber dadurch, dass der Saal nicht auf dem gleichen Weg wieder verlassen wie zuvor betreten werden darf. Dass man also, um seine Tasche wiederzuerlangen, nach der Verhandlung zunächst auf einem anderen Flur vom ersten Stock ins Erdgeschoss hinabsteigen, dort durch einen Nebeneingang das Gebäude verlassen muss, um dann im Regen einmal ganz um das Gebäude herumzulaufen, schließlich erneut vor dem Haupteingang in der Schlange zu stehen, die elektronische Durchleuchtung zu durchlaufen, wieder in den ersten Stock hinaufzusteigen und dort nach dem Durchschreiten eines langen Ganges endlich wieder bei seiner Tasche angelangt zu sein. Welchen Sinn das hat? „Ich tu hier auch nur meinen Job“, keift die Wachtmeisterin auf Nachfrage.

Der Saal ist voll, aber niemand weiß genau, was er hier eigentlich noch erwartet. Die Sache ist klar: Motassadeq gilt dem Gericht als Terrorhelfer, die Frage ist allein, wie viele Jahre er dafür im Gefängnis schmoren muss. Der Antwort nähert sich das Gericht nicht über die Vernehmung spannender Zeugen, sondern über das Abhaken reiner Formalitäten. Zwar fallen dauernd Namen wie Ramzi Binalshibh oder Mohammed Zammar, die jeder aus dem Fernsehen kennt: Mutmaßliche Kader des Terrornetzwerkes Al Quaida, dessen Gefährlichkeit die USA immerhin zu zwei Kriegen veranlasste. Die selbst sind aber natürlich nicht da. Der eine sitzt in Guantanamo in Haft, der andere in Damaskus. Von dieser Verhandlung in Hamburg wissen sie nicht einmal, und wenn doch, wäre sie ihnen sicher herzlich egal. Sie haben selbst genug Probleme. In Saal 237 aber scheint es fast, als spräche man über alte Bekannte. Für die Namen der Terroristen werden vertraulich Abkürzungen verwandt, Khalid Scheich Mohammed heißt im OLG beispielsweise KSM.

Angesichts der Trostlosigkeit inszenieren sich die Zuschauer den ersehnten Glamour selbst. „Bin Laden soll ja um elf Uhr kommen“, witzelt ein Kameramann vor dem Saal, und die Umstehenden lachen auf. Eine Seite des Zuschauerraumes nehmen Kunstschülerinnen ein. Alle haben ihren Tuschkasten auf den Knien und malen eifrig Motassadeqs Gesicht, während der stoisch der Verhandlung folgt. Ist der Marokkaner jetzt ein Kunstobjekt? Wohl kaum. Eher ein Modell, das notgedrungen über Stunden stillsitzen muss und deshalb gut zu portraitieren ist. Ihn zum Übungsobjekt zu degradieren, kommt allerdings äußerst respektlos daher. Immerhin geht es für Motassadeq selbst um 15 Jahre Haft. Elke Spanner