Kein Streit um Redezeiten

In allen Themen firm sein, zu allen Druckreifes zu sagen haben und immer passend Beifall klatschen: Lars Harms vertritt gemeinsam mit Anke Spoorendonk den Südschleswigschen Wählerverband

„Man muss ein grobes Gerüst haben und Prioritäten setzen. Wir konzentrieren uns auf Punkte, in denen wir vielleicht etwas bewegen können.“

VON ESTHER GEISSLINGER

Sitzungspause, Mittagessen: Die Landtagsabgeordneten Lars Harms und Anke Spoorendonk essen Käsebrote im Büro, bevor sie wieder in die Parlamentssitzung müssen. Beide haben schon einen langen Vormittag hinter sich: Harms hat gesprochen über den „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung“ und über die „Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, Spoorendonk über den „Rat für Klimafragen“ sowie über das „Gesetz über die Abschaffung der Direktwahl“. Die Landtagssitzung dauert noch zweieinhalb Tage, beide werden noch ein halbes Dutzend weiterer Reden halten.

„Bei uns gibt es keine Schlägereien um Redezeiten“, grinst Harms. Der 42-Jährige und seine 60-jährige Kollegin vertreten die Partei der dänischen und friesischen Minderheit, SSW. Da sie nur zu zweit sind, bilden sie im Landtag nicht einmal eine Fraktion, sondern eine „parlamentarische Gruppe“. Mitreden wollen sie trotzdem und schaffen das auch: Kaum ein Tagesordnungspunkt ohne Beitrag des SSW. Von Abfallwirtschaft bis Zuckermarktordnung, von Haushalt bis Lotteriemonopol – entweder Harms oder Spoorendonk treten ans Pult und sagen, was der SSW dazu meint. Experte sein in jedem Thema, sich in den Verästelungen jedes entstehenden Gesetzes auskennen – geht das überhaupt? Harms behauptet: Ja.

„Man muss ein grobes Gerüst haben und Prioritäten setzen. Wir konzentrieren uns auf Punkte, in denen wir vielleicht etwas bewegen können. Und man muss sich kluge Leute in Verbänden und an der Basis suchen, die etwas zum Thema sagen können.“

Das werden die Lobbyisten gern hören: Einmal dem Politiker was ins Ohr geflüstert, schon vertritt er die Verbandsposition als seine eigene. Harms wehrt ab: So sei das nicht. Wichtig sei eine Grundhaltung, die durch das Parteiprogramm bestimmt werde: „Man weiß, wes Geistes Kind wir sind. Ich bin Lobbygruppen nicht ausgesetzt, sondern halte guten Kontakt zur Basis.“ In dieser Wahlperiode hat er zusätzlich die Sozialpolitik übernommen. Er war viel unterwegs, um sich einzuarbeiten, bei Vereinen, in Krankenhäusern und Verbänden. „Ich sage immer: Belastet mich nicht mit Papier, sagt mir einfach, wo der Schuh drückt.“

Aber zeitaufwändig sei das schon, gibt der gebürtige Nordfriese zu: 60 bis 70 Stunden pro Woche steckt er ins Amt und ist manchmal etwas neidisch auf die Abgeordneten großer Fraktionen, die sich nur einem Thema widmen müssen. Andererseits: „Ich genieße es, dass ich mich in so vielen Bereichen auskenne.“

Harms lebt in Koldenbüttel, einem Dorf nahe Husum. Er hat sechs Kinder zwischen drei und 16 Jahren, die er viel zu selten zu sehen bekommt. Denn neben dem Landtags-Job ist der studierte Betriebswirtschaftler und frühere Leiter des Heider Tourismus-Büros Gemeinderat in seinem Dorf: Es kann ihm passieren, dass er morgens in Kiel über einen Milliarden-Haushalt entscheidet und abends im Verschönerungsausschuss darüber berät, ob Koldenbüttel einen neuen Blumenkasten aufstellt. „Das erdet“, meint Harms.

Als Mini-Fraktion können er und Spoorendonk selten ihre Positionen durchsetzen, manchmal aber gelingt es doch: Einige Großprojekte wie das Tariftreuegesetz seien ursprünglich vom SSW erfunden worden. Und auch Kleinigkeiten zählen: „In Nordfriesland sind die Ortsschilder jetzt friesisch. Auf so ein Schild kann ich die Hand legen und sagen: Daran habe ich mitgearbeitet. Politik ist klasse.“ Das ist ernst gemeint: Harms kam durch seine friesischen Wurzeln zur Politik, entsprechend wichtig sind ihm Erfolge für die Minderheit. Einen Nachteil hat der SSW allerdings: „Wer aus dem Landtag rausfliegt, ist draußen – die Partei kann niemanden absichern.“ Harms sitzt seit 2000 im Parlament, irgendwann kann es zu spät sein für die Rückkehr ins normale Berufsleben. Allerdings hilft, dass er in der Zweierkonstellation kein Hinterbänkler sein kann: Beide SSW-Abgeordnete werden häufig zitiert.

Harms weiß, dass sich bei Landtagssitzungen nur noch selten etwas entscheidet: „Bei der ersten Lesung eines Gesetzes kann man vielleicht noch jemanden überzeugen oder Neues einbringen, aber vieles ist Spielen für die Galerie.“ Auch das sei aber wichtig: „Gerade wenn Besucher da sind, macht es einen schlechten Eindruck, wenn im Parlament kaum Leute sitzen.“ Spoorendonk und er bemühen sich, fast immer dabei zu sein, auch wenn sie nicht sprechen. Erlaubt ist, die eigene nächste Rede zu lesen. Einige schreibe er selbst, bei anderen sei es fast egal: „Zu gewissen Themen kann jeder im Team sofort was liefern.“ Drei fest angestellte und einige freie MitarbeiterInnen beschäftigt der SSW im Landtag.

Dass die beiden SSW-Abgeordneten die Debatten durchgehend absitzen, hat noch einen anderen Grund: Wenigstens einer muss ja klatschen, wenn der SSW eine Meinung gegen alle anderen Parteien vertritt. „Egal, worum es geht: Mindestens einer von uns ist immer geistig dabei.“