Wundersames geht um im Land

Von Kellerschraten und Hutzelfesten. Ein Ausblick auf das Brauchtumsjahr 2007

Es sind mit uraltem Fruchtbarkeitsglauben die Bräuche eng verknüpft

Das alte Jahr ist verdampft, das neue liegt bereits seit einigen Tagen vor. Noch erstreckt es sich weit in den Horizont, und wie Rosinen am Wegesrand leuchten allenfalls Ostern, Pfingsten und Weihnachten dem modernen, rundum verkabelten Hochgeschwindigkeitsmenschen entgegen. Mancherorts aber leben noch jene alten Feste fort, die von den Menschen seit jeher gepflegt werden und dem Jahr Sinn und Ordnung geben. Das glauben Sie nicht? Aber wissen sollten Sie’s:

Schon der Beginn eines neuen Jahres ist nämlich eng mit uraltem Fruchtbarkeitsglauben verknüpft, sind in der Neujahrsnacht doch alle geheimnisvollen Kräfte des Wachstums lebendig. In Holstein knüpft man deshalb den Jungfrauen starke Gebinde von Liebstöckel ins offene Haar, während im Hochsauerland die Männer um Mitternacht mit einer mächtigen Glocke um ihr Glied durchs Dorf laufen, Neckverse auf die unverheirateten Töchter aufsagen und den alten Hagestolzen einen großen, hölzernen Nagel in die Eiersäcke schlagen.

Schon am 2. Januar feiert man in Nordhessen den Waldmännchentag, an welchem weder ein heißes Pferdchen angespannt, noch eine unbeschrittene Jungfrau das Elternhaus verlassen darf. In Ostfriesland wiederum umwindet man am Tage Zwei die Bäume mit Strohseilen, um sie vor dem Frost zu schützen, dem Feind der Wärme. Am linken Niederrhein hingegen darf an diesem Tag keinerlei Brauchtum ausgeübt werden, weil Frau Holle umgeht.

Gleichwohl entspricht dies den Raunächten, an denen die Sonne einhält in ihrem Lauf, ehe auch sie am 6. Januar ihren Weg ins neue Jahr beginnt. In dieser Zeit zwischen den Jahren umwickelten die Mädchen im Emsland einst ihren Rocken mit gedrechseltem Flachs und sangen, während die Zeugschaftsburschen die Hände an den Eicheln ruben und dazu schwiegen.

Danach aber wirft man in Sachsen dem Nachbarn am Aschermittagsmorgen irdene Gefäße vor das Tor, um der Stille Herr zu werden und die Kellerschrate auszutreiben. In Niederbayern stellt man zur gleichen Zeit Krummbirnen und Zündhölzer wider die Fruchtbarkeitswerkzeuge und zieht sich Schweinehäute an.

Zwischen Fastnacht und Ostern wird im Markgräflerland der Hutzelsonntag gefeiert. Von allen Kuppen leuchten dann die brennenden Feuer lodernd in das beleuchtete Land. Diese Feuer sind ein Fest, ein Hutzelfest, das sich aus der Heidenzeit gehalten hat, als man durch die Feuer Unholde, Geisterspäher, Wiedertote, Umgänger und Hutzel bei beginnendem Erntejahr von den Feldern und Rainen zu bannen trachtete und in Notzeiten ein Neugeborenes röstete.

Nichtsdestoweniger hat sich in der Lausitz das Eierbrauchtum erhalten. Dann holen sich die Dorfmaiden, nachdem sie sich halbnackt im Schlamm gewälzt haben, am Kammerfenster des Auserwählten die Ostereier ab und veranstalten den Eierlauf, bei dem sie über Gatter, Zäune, kleine Ferkel, Meilensteine, Hengstriemen und Gaugrenzen springen und dabei ein Ei auf der Nasenspitze ins väterliche Gemach führen müssen. In der Uckermark dagegen wird das Osterwasser geschöpft, das gegen allerhand Gebresten, Wunden, Sommersprossen, trockene Kleider, Leberflecken, kurze Beine und Wehtage hilft, sobald es wirkt.

Doch schon in der Walpurgisnacht wird im Berner Oberland mancherlei Schabernack getrieben und von jungen Kerlen ein Mistwagen auf das Pfarrhaus gestülpt. Anderswo, in der Pfalz, schleift man daher die alten Jungfern in den Ziegenstall und begräbt den Eidam, den Spillmagen und den Hundsfott. Den Schandmaien hingegen werden zur Fickeldult in Oberbayern Geflechte aus Kutteln in die Kelze getan. In Tirol wiederum treibt man am Johannistag die jungen Witwen unter symbolhaftem Gemuhe auf die Alm, und alle alten Katzen werden ersäuft. Außerhalb dieses speziellen Brauchs hat sich in Ostwestfalen ein anderer erhalten, wonach man Früchte hängen lässt, bis sie wieder fest werden.

Am 21. Juni indes laufen am Bodensee die heranwachsenden Knaben, singend und den Jüngsten unter ihnen wie eine Trommel schlagend, von Haus zu Haus, werfen die Mülltonnen um, treten die Türen ein und bitten um den Eisenkuchen, ein hartes, stangenartiges Gebäck, das sie dann zuhause beim gemeinsamen Abendgebet ihrer Mutter schenken.

Zum Michaelstag im September aber hängen sich die Leute im Waldviertel Knochen von Durchreisenden an die Fenster und versammeln sich unter der Linde, um aus einem Pansen zu löffeln und zu jedem Furz „Ho ha dehoberma!“ zu rufen.

Im Spätherbst dann kommt in Franken das Herrgottsvögelchen, der Vorbote des Winters; der, nachdem am Nikolaustag Funkenteufel durch die Gassen tanzten, in der Gestalt des Christonkels sehr alte und verbrauchte Züge trägt und den jungen Mädchen die Herrgottsgabe beut.

Dann sind alle gefüllt und das neue Jahr beginnt. Nun setzt auch die Sonne endlich ihren Lauf fort. PETER KÖHLER