die taz vor 19 jahren über linke grüne nach dem parteitag von karlsruhe
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Der Sturz des Vorstands ein „Aufstand der Basis“ oder ein „Sieg der Partei über die Strömungen“? Diese Begriffe verharmlosen sowohl die in Karlsruhe eingeleitete grüne Wende unter Dominanz der Realos als auch das Ausmaß der Krise von links-grüner Politik.

Der Anlaß dieses Sturzes, der sogenannte Finanzskandal, wird schnell vergessen sein, da er nun für die innerparteilichen Gegner seine Schuldigkeit getan hat. Doch daß die bisherige Vorstands-Mehrheit auf diese Weise zu dem schlechtesten aller denkbaren Abgänge gezwungen wurde, wirft ein grelles Schlaglicht auf die politische Hilf- und Ratlosigkeit ihrer Strömung in der Partei. Ein Profil radikalökologischer/ökosozialistischer Politik war nach außen schon längst nicht mehr erkennbar; nun reichte es auch nach innen nicht länger, um eine aufgebauschte Finanzaffäre zu überleben.

Rosig und radikal sollte „Die Zukunft der Grünen“ sein, schrieben Trampert und Ebermann vor Jahren. Die Grünen galten ihnen als alleiniger Transmissionsriemen für oppositionelle Politik; wer sich diesem Sog verweigerte, wurde im eigenen Lager hart bekämpft. Logisch folgte daraus die Strategie, um jeden Preis Machtpositionen in der grünen Partei zu besetzen und sich zunehmend nur noch verbal auf „die Bewegungen“ außerhalb der Grünen zu beziehen. Diese Strategie ist nun untergegangen.

Was nun folgen muss, ist eine selbstkritische Bilanzierung der vergangenen Jahre – und diese unausweichliche Bilanz könnte erstmals wieder zu einer fruchtbaren Debatte zwischen grünen und nicht-grünen Linken führen, zu einer gemeinsamen Suche nach den Möglichkeiten sozialistischer und feministischer Politik. So gesehen war der Parteitag nicht nur ein Befreiungsschlag für Realos und Aufbruch-Gruppe, sondern könnte auch ein aufgezwungener Befreiungsschlag für die Parteilinke selbst sein – wenn sie diese Chance zu nutzen versteht.

Charlotte Wiedemann,

taz vom 6. 12. 1988