Witzischkeit ohne Ende

Der Verein „Rettet die Bütt“ will mit der längsten Karnevalssitzung der Welt eine vom Aussterben bedrohte Form der Alltagslyrik bewahren: die durch den Comedy-Boom inflationierte Büttenrede

AUS DÜSSELDORF LUTZ DEBUS

Vier Uhr morgens in der Düsseldorfer Altstadt. Mit schwankendem Schritt und Narrenkappe auf dem Kopf sucht ein älterer Herr den Weg von dem Traditionsbrauhaus „Im goldenen Ring“ quer über den Burgplatz zum Taxistand. Das Kopfsteinpflaster macht ihm arg zu schaffen. Drinnen im Saal steht das Duo „Blöd und Blöd“ auf der Bühne. Einer mimt den Kellner, der andere den Gast. „Warum hältst du denn deinen Finger in mein Bierglas?“ „Mein Arzt hat mir gesagt, dass ich ihn wegen einer Entzündung in etwas Warmes, Feuchtes, Dunkles stecken soll.“ „Und da nimmst du mein Bierglas?“ „Ich hab ihn mir erst in die Nase gesteckt. Aber ich muss doch auch arbeiten.“ Das Publikum johlt.

Kaum ist das Heinejahr mit dazugehöriger ausgefallener Preisverleihung vergangen, machen sich einige Düsseldorfer wieder daran, die Literatur zu retten. Mit einer außergewöhnlichen Aktion möchte man eine besondere Sparte der Alltagslyrik vor dem Aussterben bewahren: Die längste Karnevalssitzung der Welt mit entsprechendem Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde soll der Büttenrede zu neuer Popularität verhelfen. Dies sei, so Veranstalter Manfred Castor vom Verein „Rettet die Bütt“, dringend nötig. Der Comedy-Boom im Fernsehen habe es schwer gemacht, neue Pointen zu finden. Viele Büttenredner suchen deshalb schon in entsprechenden Internetplattformen nach Manuskripten und schreiben gnadenlos voneinander ab. „Aber viele Büttenredner gibt es sowieso nicht mehr“, jammert der lokal bekannte Karnevalsmusiker Castor. Es gebe keinen Nachwuchs mehr. Deshalb hat eine örtliche Brauerei einen entsprechenden Literaturpreis ausgelobt. Der beste Büttenredner erhält 3.000 Euro. Insgesamt treten von Samstag, 11.11 Uhr, bis Sonntag, 22.22 Uhr, 17 Karnevalspräsidenten mit 1.500 Künstlern auf.

Während auf der Bühne die Tänzerinnen der „Gerresheimer Bürgerwehr“ kurzberockt ihre Beine in die Luft werfen, bekommt das Duo „Blöd und Blöd“ nach ihrem Auftritt die Gage serviert. Bockwurst mit Kartoffelsalat und Senf. Mit dem Publikum waren sie zufrieden. Die beiden korpulenten Herren Mitte 40 heißen im zivilen Leben Wilbert Schwiers und Michael Esser und wohnen in Mönchengladbach. „In unserer Stadt gibt es den europaweit größten Veilchendienstagszug“, schwärmt Esser. Er ist von Beruf Busfahrer. Bei mancher Kaffeefahrt kann er seine Witzchen ausprobieren, bevor er sie in das Programm aufnimmt. Aber auch Schwiers versichert, dass er seine Texte selbst schreibt. Manchmal variiert er sie. „Bei Herrensitzungen benutze ich schon mal eine andere Körperöffnung als die Nase“, schmunzelt er. Bei Auftritten vor kirchlichen Gruppen lässt er den Finger natürlich im Gesicht. Natürlich, so stimmen beide überein, habe sich der Karneval verändert. Intelligente Büttenreden seien gar nicht mehr gefragt. Die jungen Leute würden nur noch Action suchen.

Was das sei? „Das müssen sie die 16-Jährigen fragen.“ Bei manchen Sitzungen, so klagt Schwiers, gehe es einzig um kollektives Besaufen und fast nackte Frauen auf der Bühne. Er sei ja als Junge auch von Weiberfastnacht bis Aschermittwoch nicht ins eigene Bett gekommen. Aber auf der Bühne ging es früher nicht so sehr um Sex.

Am Sonntagmorgen um 6 Uhr schunkeln nur noch die vordersten Reihen. Eine Mundartversion von „Take me home, country road“ dröhnt aus den Lautsprechern. Weiter hinten im Saal ist das Programm zwar auf großen Flachbildschirmen zu verfolgen. Aber niemand schaut hin. Die Atmosphäre erinnert eher an Bahnhofsgaststätte als an Prunksitzung. Ein Kommen und Gehen von ruhelosen Nachtschwärmern, die sonst in der Altstadt um die Uhrzeit nicht mehr so billig Einlass und Getränk bekommen. In einer Nische küsst sich eng umschlungen ein Pärchen. Sie trägt ein dunkelblaues Paillettenkleid, er eine braune Mönchskutte. Einige unentwegte Regenbogenjecken, Herren in adretter Karnevalsuniform, schwärmen noch vom Auftritt des Lesbenballetts „Maria Lach“. Eine ältere Dame mit weit ausgeschnittenem dunkelrotem Kleid und polnischem Akzent ärgert sich: „Hier wird nur geredet, nicht getanzt“, ärgert sich die Altenpflegerin – es ist ihr erster Karneval. Von der Bühne sind Brocken einer Büttenrede zu hören. „Die Camilla vom Charles hat ein Gebiss, die kann ja durch ’nen Maschendrahtzaun ’nen Apfel essen.“ Die Jury wird es bei der Auswahl der besten Büttenrede in den nächsten Tagen schwer haben. Wer die semantische Spannung in dem Begriff „Frisches Alt“ für ein Fassbier erträgt, der hält auch gute Büttenreden.