Boston wird zur grünen Stadt

In der US-Großstadt müssen auch private Bauherren Großprojekte künftig ökologisch ausrichten. Damit liegt Boston im Trend der neuen dezentralen Klimapolitik

WASHINGTON taz ■ Präsident George W. Bush und seiner Anti-Kioto-Politik zum Trotz: Klimapolitik kommt auch in den USA voran. Jetzt will eine der ältesten US-Städte grün werden. Ab Mittwoch müssen neue Großbauten in Boston einem ganzen Katalog ökologischer Anforderungen genügen. Damit wird die Hauptstadt des liberalen Bundesstaates Massachusetts die erste Großstadt in den USA, die flächendeckend auch private Bauherren zum Umdenken auffordert.

Der neue grüne Bostoner Baucode sieht vor, dass künftig alle Neubauten mit einer Grundfläche von mehr als 4.500 Quadratmetern die Minimalkriterien des „Leadership in Energy and Environmental Design“-Katalogs (LEED) des US-Rates für Umweltfreundliches Bauen erfüllen müssen. Ziel ist es, die Gebäude energieeffizienter zu gestalten.

Die Liste der möglichen Maßnahmen reicht von der Verwendung von recycelten Baumaterialen und Solarzellen über wassersparende Landschaftsarchitektur bis dahin, dass die neuen Gebäude mit dem öffentlichen Nahverkehr erreichbar sein sollen. Jeder Bauherr kann seinen eigenen Schwerpunkt setzen – so lange er mindestens 26 der insgesamt 69 Kriterien umsetzt. Hinzu kommen Boston-spezifische Pflichtpunkte, bei denen es um den Erhalt historischer Bausubstanz und die Verwendung lokaler Baumaterialien wie Puddingstein geht. Puddingstein ist ein Gestein aus Feuersteinfragmenten, die mit einem kieseligen Bindemittel verkittet sind.

„Boston wächst, und diese Regelung hilft uns, Gebäude zu bauen, die gut sind für die Luftqualität und damit die öffentliche Gesundheit“, sagte Bürgermeister Thomas M. Menino.

Wie Meninos Umweltberater James W. Hunt ankündigte, soll eine Kommission eingesetzt werden, die die Umsetzung des grünen Baucodes überwacht. Das wäre ein Novum in den USA.

Mit der grünen Ausrichtung ist Boston dagegen in guter Gesellschaft. Ausgelöst durch die hohen Ölpreise, hatte das Thema alternative Energien im vergangenen Jahr auch in den USA dramatisch an Attraktivität gewonnen. Schon seit der Clinton-Administration gelten in 18 US- Bundesstaaten und bei 12 Bundesinstitutionen immerhin für öffentliche Neubauten die LEED-Kritierien. Seit April verlangt die kalifornische Stadt Pasadena nun auch private Ökobauten, ebenso der US-Bundesstaat New Mexico. Und Anfang Dezember hat auch die US-Hauptstadt Washington angekündigt, privaten Bauherren Umweltauflagen machen zu wollen.

Experten des Climate Action Networks in Massachusetts sind zufrieden mit den neuesten Entwicklungen. „Es ist ein großartiger Schritt im Kampf gegen die globale Erwärmung“, sagt Marc Beslow. „Grünes Bauen“ bedeute einen signifikanten Fortschritt. Schließlich gebe es in den USA drei Hauptquellen für Treibhausgase: Stromerzeugung, Transport und der direkte Rohstoffverbrauch in Gebäuden und in der Industrie.

Gemäß den Zahlen des Bostoner George Robert Environmental Conservation Centers, einer grünen Vorzeige-Institution, sind Gebäude verantwortlich für 36 Prozent des Energieverbrauches in den USA, für 30 Prozent des Verbrauches an Rohstoffen, für 30 Prozent der Abfallproduktion und für 30 Prozent der Treibhausgasemissionen.

Auch wenn private Bostoner Bauherren, für die sich die Baukosten künftig um bis zu 20 Prozent erhöhen könnten, nicht einhellig begeistert sind, hat Bürgermeister Menino breite Unterstützung gefunden. „Die langfristigen Kosten, die entstehen, wenn wir jetzt nicht handeln und grüner werden, sind katastophal“, warnte Hubert Murray, Präsident der Boston Society of Architects. „Wir haben keine andere Wahl.“

ADRIENNE WOLTERSDORF