KASTANIENALLEE
: Die Gefahr

Er hebt die Bierflasche hoch und fängt an zu rennen

Manchmal ist man zur falschen Zeit am falschen Ort. Mittwoch. 23.00 Uhr. Kastanienallee. An der Ecke Oderberger Straße steht ein junger Typ mit Bierflasche. Er telefoniert. Unsere Blicke treffen sich für eine Sekunde. In diesem Moment muss er entschieden haben, dass ich sein Feind bin. Er kommt auf mich zu und sagt: „Du beobachtest mich. Warum beobachtest du Schwein mich?“

Er steht dicht vor mir. Ich weiche zurück. Er ist groß und schlaksig. Seine Pupillen sind geweitet. Er hat sich irgendwelche Drogen eingeworfen. Er schreit: „Warum beobachtest du mich? Hör auf, mich zu beobachten!“ Ich spüre die Gefahr, gehe auf die andere Straßenseite. Er verfolgt mich. Dann hebt er die Bierflasche hoch, fängt an zu rennen und schreit: „Ich bringe dich um.“

Ich renne. Er ist knapp hinter mir. Er versucht mich mit den Füßen von hinten zu erwischen. Ich kann mein Gleichgewicht gerade noch halten. Ich sehe ein vietnamesisches Restaurant. Renne hinein. Stehe zwischen Bar und Küche. Er steht im Eingang des Restaurants und schreit: „Ich hau dir deine Fresse zu Brei. Ich mach dich fertig.“

Aus der Küche kommen drei Männer. Sie sagen, dass ich verschwinden muss. Ich sage, dass ich gehe, sobald dieser Verrückte dort weg ist. Die vietnamesischen Köche drängen ihn aus dem Restaurant. Ich wage mich zur Eingangstür vor, sehe, dass die Köche ihn links die Oderberger hinauftreiben. Ein älterer türkischer Herr, der die Szene beobachtet hat, sagt, dass ich jetzt gehen kann. Ich laufe los und sehe, wie er die Vietnamesen wegboxt und abermals hinter mir herrennt. Der ältere türkische Herr versucht ihn zu stoppen und wird zur Seite gestoßen. Ich renne und renne und renne. Mein Vorsprung hat ausgereicht. Ich habe ihn abgehängt. Ich bin zu Hause. Mir schlottern die Knie, mir pocht das Herz. Ich habe immer noch Angst.

ALEM GRABOVAC