TANZEN BEIM BERLIN ART PRIZE IM KÜHLHAUS, BLUMENREGEN BEI HOW TO DRESS WELL IM HAUS DER BERLINER FESTSPIELE
: Die Black Box wirft mit Blumen

VON ULRICH GUTMAIR

Man muss ganz nach oben, wenn man die Ausstellung des Berlin Art Prize sehen will. Sie breitet sich über die ganze Etage aus. Es ist ruhig, angenehm unhysterisch. Kleine Grüppchen stehen beieinander, schauen die Kunst an und unterhalten sich. Die schönste Arbeit, eine interaktive Blumenskulptur, ist trotzdem überfordert. Sie soll auf die Anwesenheit des Betrachters reagieren und dann ihre Blütenblätter, die in Wirklichkeit weiße Federn sind, öffnen.

Doch die Federn zittern nur, als ahme die Apparatur keine Pflanze nach, sondern ein Tierchen, das sich fürchtet oder friert. Komisch, wie leicht man sich davon überzeugen lässt, es mit etwas Lebendigem zu tun zu haben, wenn Regelkreise ihre Arbeit tun – oder sich hilflos in Feedbackschleifen verfangen. Aber mit den Menschen ist es ja auch nicht viel anders. Man reagiert auf Signale. Was in der Black Box des anderen vorgeht, wer kann das schon wissen.

Unten, bei der Finissage-Party im ehemaligen Kühlhaus in der Luckenwalder Straße, wird Achtzigerjahremusik gespielt, zu der 25-Jährige in Achtzigerjahreklamotten manieriert tanzen, was sehr merkwürdig aussieht, wenn man ein gewisses Alter überschritten hat. Berlin ist halt die Achtzigerjahrestadt, sagt eine der Organisatorinnen, die trotz der vielen Arbeit des vergangenen halben Jahrs gut gelaunt und munter sind. Der Art Prize ist der Beweis, dass Berlin noch funktioniert. Mythos, antworte ich, Berlin ist die Neunzigerjahrestadt. Die Party kommt nicht recht in Gang. Der Ort ist weitläufig, die Anlage zu klein. Zeit, dass der Berlin Art Prize öffentlich gefördert wird.

Die Frau von der PR-Agentur freut sich, endlich mein Gesicht zu sehen, schließlich schicke man sich seit Jahren E-Mails. Das freut mich auch. Man gehe jetzt nach Hause, viel zu müde, um weiterzufeiern, sagt sie. Na dann, sage ich, ist es doch gut so, ich wünsche eine gute Nacht und lege eine halbe Sekunde meine Hand auf ihre Schulter. Vielleicht als Zeichen der Bekräftigung der ersten Begegnung, vielleicht auch, um Schubkraft für den Nachhauseweg zu übertragen. Aber sie sagt: Bitte keine paternalistischen Gesten!

So kam das also an. Andererseits: Ist das Heer der PR-Agentinnen uns Schreibern nicht zahlenmäßig und ökonomisch weit überlegen, mit mächtigen Institutionen und superreichen Sammlern im Rücken? Der herrschende Genderbegriff ist dermaßen entpolitisiert, seit von Triple Oppression – Race, Class und Gender – keine Rede mehr ist. Deswegen herrscht er ja auch. Und protestantische Symbolpolitik lehne ich ab. Ich winke also wie ein Dreijähriger ironisch zum Abschied, worauf mir die Hand gegeben wird. Kräftiger Handshake, so machen wir das in der Business Class.

Dann dreht der DJ auf, jetzt wird doch noch getanzt, und zwar richtig. „And now we’re gonna be face to face“, singt Iggy. Wer nicht daran glaubt, dass der Dancefloor der Ort ist, an dem die Möglichkeit besteht, dass sich die Individuen als solche begegnen, kann auch nicht tanzen.

Am Samstag sehen wir uns das Spiel Brasilien gegen Chile an, das gar nicht mehr aufhören will. Die Tochter weiß genau, welche Mannschaften gut sind und weiterkommen werden. Sie kann das aus dem Spiel lesen. Aber Detlef Kuhlbrodt meinte, sie habe bloß die Kommentare aus dem Off aufgesogen. Das klang erst plausibel, aber drei Tage später glaub ich es nicht mehr.

Sonntagabend geht es ins Haus der Berliner Festspiele. Uraufführung eines Konzerts des R-&-B-Künstlers Tom Krell alias How to dress well, der sein Album „What is this heart?“ vorstellt. Statt elektronischer Musik vom Band spielt ein Quintett, vier Streicherinnen und eine Pianistin, die zwischendurch auch dirigiert und per Laptop Beats einspielt. Auf der Bühne fünf Tänzer, die mit weißen Quadern und Stühlen spielen, während Tom Krell auf dem größten Quader steht und seine Falsettstimme jubilieren und klagen lässt. Das ganze Arrangement erinnert an die Gesangswettbewerbe im TV, wo die Stimmen sich genauso zu singen bemühen, nur ohne campe Hintergedanken.

Später bedecken die Tänzer die Bühne mit 7.000 Blumen, die man auf dem Großmarkt Beusselstraße ersteigert hat. Alle auf der Bühne tragen bunt bedruckte Anzüge von Eckhaus Latta – kurze Hosen und rückenfreie Hemden. Das Schöne an Pop ist seine überindividuelle Struktur, die sich in Styles zeigt, die Menschen einander erkennen lassen. Ich will auch so eine Uniform.