Hongkongs Bürger legen sich mit Peking an

CHINA In der früheren Kronkolonie Hongkong wächst die Unzufriedenheit über die chinesische Verweigerung einer echten Demokratisierung der Stadt. Großdemonstration für heute geplant

„Die Hongkonger drücken ihre Enttäuschung aus“

BENNY TAI, JURADOZENT UND AKTIVIST

BERLIN taz | An diesem 1. Juli, dem 17. Jahrestag der Rückgabe der einstigen britischen Kronkolonie Hongkongs an China, erwarten Demokratieaktivisten in der Stadt mehr als eine halbe Millionen Demonstranten zu ihrem jährlichen Marsch. Das wäre der größte Peking-kritische Protest seit dem Souveränitätswechsel 1997. Schon einmal hatten zum Schreck der chinesischen Regierung im Jahr 2003 eine halbe Million Hongkonger gegen die Einführung eines Antisubversionsgesetzes demonstriert. Darauf musste Peking auf das Gesetz verzichten.

Ob die Demonstranten jetzt einen ähnlichen Erfolg haben werden, ist fraglich. Dabei haben Chinas Vertreter in der südlichen Sonderverwaltungsregion in den letzten Wochen den Protest selbst mit angeheizt. Im Zentrum des Machtkampfes steht die Frage, wie Hongkongs Regierungschef ab 2017 gewählt wird. Peking hatte der nach dem Prinzip „ein Land – zwei Systeme“ halbautonom regierten Metropole eine Direktwahl ihres Regierungschefs versprochen, besteht aber auf einer Vorauswahl „patriotischer“ Kandidaten durch ein Peking-nahes Gremium. Das wollen in Hongkong viele nicht hinnehmen und beteiligten sich in großer Zahl an einem inoffiziellen Referendum der Gruppe Occupy Central with Love and Peace. Die von Universitätsdozenten initiierte Gruppe droht mit der Lahmlegung des Finanz- und Geschäftsviertels Central durch friedliche Demonstranten, sollte ihr Ruf nach direkterer Demokratie ungehört bleiben.

An dem von der Gruppe vom 20. bis 29. Juni per Smartphone-App, Internet oder in Wahllokalen durchgeführten „Referendum“ beteiligten sich nach Angaben vom Montag 787.767 Personen – mehr als ein Viertel aller Wahlberechtigten der 7,2-Millionen-Einwohner-Stadt – und mehr als doppelt so viel wie von den Organisatoren erhofft. Die Teilnehmer konnten über drei Varianten abstimmen, die alle eine Nominierung von Kandidaten durch die Bevölkerung und damit jenseits des bisherigen Peking-hörigen Wahlmännergremiums vorsahen.

Die große Beteiligung wie auch die für Dienstag erwartete Rekordzahl an Demonstranten hatte Peking am 10. Juni mit einem „Weißbuch“ zu seiner Hongkong-Politik selbst verursacht. Das umstrittene Dokument erteilte einer Direktwahl des Regierungschefs eine Absage („illegal und ungültig“). Zudem stellte es die Unabhängigkeit Hongkonger Gerichte in Frage und bezeichnete Hongkongs Autonomiestatus als Akt Pekinger Gnade, der rückgängig gemacht werden könne.

Das ließ bei vielen Bürgern der prosperierenden Finanz- und Wirtschaftsmetropole die Alarmglocken klingeln. Am vergangenen Freitag demonstrierten etwa mehrere hundert Rechtsanwälte, die eine Aufweichung des erfolgreichen Hongkonger Rechtsstaates befürchten. Denn Pekings Weißbuch schrieb Hongkongs Justiz die Aufgabe zu, „patriotisch“ und ein Teil der Regierung zu sein.

„Die Hongkonger haben ihre Enttäuschung gegenüber Peking zum Ausdruck gebracht“, sagt der Juradozent Benny Tai Yiu-ting, Initiator von Occupy Central. Da die Webseite der Organisation von mutmaßlichen regimenahen Hackern blockiert worden war, hatte Occupy Central die Dauer der Abstimmung verlängert.

Die verbalen Angriffe chinesischer Politiker und Medien, die sogar bis zur Drohung eines Militäreinsatzes reichten, dürften den Protest noch vergrößert haben. Peking-nahe Kräfte hatten in einer Gegenaktion selbst nur 30.000 Unterschriften zusammenbekommen.