Als die Nazis über die Fischereibiologen kamen

Vier international bekannte Aalforscher wurden ab 1933 als Juden verfolgt, davon zwei in Hamburg: Hans Lübbert und Ernst Ehrenbaum. Am schnellsten war der „Fischerbote“: Er strich sie noch im Januar-Heft aus seinem Impressum

Der Nachruf der Allgemeinen Fischerei-Zeitung von 1933 auf den Biologen Johannes Schmidt hatte einen Umfang von ganzen sechs Zeilen. Dabei war der dänische Professor weltberühmt. Er hatte 1922, nach achtzehn Jahren der Recherche und langen Expeditionen, die damals allgemein so genannte „Aalfrage“ beantwortet: Woher diese Fische stammen. Schmidt entdeckte, dass die Aale aus der Nähe der Bermuda-Inseln, aus der Sargassosee nach Europa kommen und zum Laichen in die Karibik zurückschwimmen. Dafür hatte der Forscher viele internationale Auszeichnungen erhalten. Sicher nicht die wichtigste war seine Ehrenmitgliedschaft im Deutschen Fischereiverein. Aber kaum mehr als sie stand in dem Nachruf.

Eine solche Ächtung war noch die harmloseste Art, mit der die Nazis über die Aalforscher kamen. Vielleicht hatten sie nicht vergessen, dass sich Schmidt, in der Nähe von Kopenhagen geboren, bei der Volksabstimmung von 1920 für die Zugehörigkeit Nordschleswigs zu Dänemark ausgesprochen hatte. Schlimmer als Schmidt posthum erging es allerdings den beiden wohl bedeutendsten deutschen Aalexperten jener Zeit, Hans Lübbert und Ernst Ehrenbaum. Beide lehrten an der Universität, arbeiteten in deutschen und internationalen Gremien und gaben ab 1926 gemeinsam das vielbändige „Handbuch der Seefischerei Nordeuropas“ heraus.

Lübbert, Fischereidirektor der Stadt Hamburg, ließ in der Mündung des englischen Flusses Severn eine Station anlegen, um die dort besonders stark auftretende Aalbrut zu fangen und nach Hamburg zu bringen. Über eine Aalversandstelle am Fischmarkt in St. Pauli konnten Fischer die winzigen Nutztiere bestellen, um sie in Bächen, Teichen und Seen aufzuziehen. So trug Lübbert maßgeblich dazu bei, dass der Aal für viele Binnenfischer zu ihrem – nach Verkaufswert – wichtigsten Produkt wurde.

Ernst Ehrenbaum leitete die Fischabteilung des Naturhistorischen Museums der Hansestadt. Ehrenbaum befasste sich schon 1907, als er noch in der Biologischen Anstalt Helgoland für Seefischerei zuständig war, mit Schmidts Suche nach der Herkunft der Aale. 1922 übersetzte er den Aufsatz ins Deutsche, mit dem der Däne seine Entdeckung bekannt gab, und verfasste Artikel über die Lösung der Frage nach der Herkunft des Aales in Fachzeitschriften. Ehrenbaum schrieb 1929 auch das Kapitel über den Aal im „Handbuch der Seefischerei“.

Aber Lübberts Vater war Jude, wenn auch wenig religiös, und Ehrenbaums Eltern waren vom jüdischen zum evangelischen Glauben konvertiert. Der Marinebiologe Burkhard Watermann hat nachgezeichnet, wie schnell die beiden aus Amt und Würden gedrängt wurden: Schon im Januar-Heft 1933 verschwanden ihre Namen aus dem Impressum des Fischerboten, den einst Lübbert mitgegründet hatte. Ehrenbaum verlor auch die Redaktion des Fischmarkt. Wichtiger waren der Entzug der Lehrerlaubnis und der erzwungene Rücktritt vom Verwaltungsrat des Deutschen Fischereivereins. 1936 folgte der Ausschluss von Ehrenbaum und Lübbert aus der Deutschen Wissenschaftlichen Kommission für Meeresforschung, 1938 wurde ihnen auch noch die Verantwortung für das Handbuch der Seefischerei genommen.

Ehrenbaum, 1933 bereits 71 Jahre alt, starb 1942 in Marburg, bevor der dritte Deportationszug die letzten Juden aus der Universitätsstadt nach Theresienstadt brachte. Lübbert, bei seiner Zwangspensionierung 63 Jahre alt, wurde nach dem Krieg wieder Fischereidirektor in Hamburg, um den Wirtschaftszweig neu aufzubauen. Zwei weitere Aalforscher, die als Juden verfolgt wurden, überlebten im Exil. Leopold von Ubisch, Professor in Münster, ging 1935 nach Norwegen. Bruno Schreiber, Zoologe in Mailand, gelang 1942 die Flucht in die Schweiz.

Noch weniger als das Schicksal der Verfolgten ist das Leben der Täter, Nutznießer und Zeugen erforscht. Dabei sind die Namen bekannt. Zudem hat ausgerechnet der pronazistische Professor Paul Friedrich Meyer die Geschichte des hier maßgeblichen Deutschen Fischerei-Vereins geschrieben. Meyer lehrte ab 1943 in Greifswald, ab 1955 leitete er die Bundesforschungsanstalt für Fischerei in Hamburg. Und 1966 gab Meyer-Waarden, wie er sich nach 1945 nannte, eine umfangreiche Aalbibliographie heraus. bz

Mit antisemitischen Aspekten der Aalforschung beschäftigt sich auch die Broschüre von Dietmar Bartz, „Der Analytiker und sein Phallusfisch. Sigmund Freud und die Hoden des Aals“. taz-Dossier (2006), 23 Seiten, 6 Euro, zu bestellen bei recherche@taz.de