Ein Lichtblick zwischen überfütterten Dackeln

Natalie Tenbergs Gastro- und Gesellschaftskritik: Das Prager Café Slavia in Friedenau nahe dem Rüdesheimer Platz huldigt dem Jugendstil

Im Drei-Bezirke-Eck zwischen Wilmersdorf, Steglitz und Schöneberg geht es beschaulich zu. Alte Damen führen ihre Yorkshireterrier aus, alte Herren ihr überfütterten Dackel. Man grüßt sich, die Kinder sind höflich und Graffiti kaum vorhanden. Der Rüdesheimer Platz, das Zentrum dieser Gegend, ist ein Stück altes West-Berlin, geschmückt mit Stiefmütterchen, verziert durch den Siegfriedbrunnen. Nichts erinnert in dieser Spießbürgeridylle mehr daran, dass hier vor dem Zweiten Weltkrieg noch die künstlerische Avantgarde lebte.

Das Prager Café Slavia, eines der wenigen ansprechenden in dieser Gegend, orientiert sich an etwas, das ebenfalls seine besten Zeiten längst hinter sich gebracht hat, nämlich an einem Prager Intellektuellencafé gleichen Namens der 20er-Jahre. Seitdem aber ist schon viel Wasser die Moldau heruntergeflossen, weder Steglitz noch das heutige Slavia in Prag sind mehr Hotspots der Vordenker, und so entsteht beim Besucher schon gleich beim ersten Eintreten ins Lokal der Eindruck eines Anachronismus.

Damit niemand verkennt, in welcher Zeit man hier schwelgt, hängen im großen hellen Eckcafé die Plakate von Alfons Mucha, Thonet-inspirierte Kaffeehausstühle stehen an den vielen kleinen Tischen, Kronleuchter hängen an der hohen Decke. Ja, wir haben es verstanden, hier wird dem Jugendstil gehuldigt. Hübsch, wenn nur nicht der abgegammelte Kunstrasen vor der einladenden Fensterfront an die Gestaltungssünden heutiger Tage erinnern würde.

Durch die hohe Decke hallen die Gespräche der Gäste, die sehr vereinzelt an den Tischen sitzen, laut wider, sodass es auch mit nur wenigen Besuchern akustisch so wirkt, als sei der Laden voll. Zweifel darüber, welche Küche im Slavia angeboten wird, kommt nicht auf. Grelle gelbe Plakate hängen im Fenster, auf denen verkündet wird, dass es hier böhmische Küche gibt. Schade, denn sie verleihen dem Lokal zu Unrecht einen Hauch von Grillhölle. Statt Pommes kommen hier Knödel auf den Teller, mit deftigem Braten und Gulasch. Bemerkenswert sind vor allem die Nachspeisen: Palatschinken und Kaiserschmarrn. Die gebackenen Apfelringe mit Vanilleeis und Sahne sind ihre 5,40 Euro wert, machen nicht nur glücklich, sondern auch satt. Im lieblich-langweiligem Kiez um den Rüdesheimer Platz ist das Slavia ein Lichtblick. Und wenn man dort aus dem Fenster blickt, auf jungfräuliche Wände, dann kann einem die biedere Vergangenheit auch mal schön vorkommen.

PRAGER CAFÉ SLAVIA, Wiesbadener Str. 79, 12161 Berlin-Friedenau, U-Bahnhof Rüdesheimer Platz, Tel. (0 30) 82 70 31 20, Di.–Fr. 12–23.30 Uhr, Sa. 12–22, So. 10–22 Uhr, Mo. geschl., Cola 1,90 €, Hauptgerichte ab 7,50 €, www.prager-cafe-slavia.de