Der Mann, der sein Gesicht verlor

Deine Frau schläft mit deinem Assistenten, warum auch nicht, er sieht aus wie du: Marius von Mayenburg neues Drama „Der Hässliche“ an der Schaubühne spielt mit dem Schönheitswahn und kommt nicht unter die Oberfläche

Das Publikum sitzt vor einer scheinbar roh belassenen Bühne, schaut auf den hölzernen Bühnenboden und auf Betonwände. Die Schauspielerin Bibiana Beglau kommt auf die Bühne, verdrahtet einen präparierten Apfel mit einem Zünder und lässt ihn zerknallen. Wir zucken zusammen. Das bleibt der einzige Knalleffekt in der Uraufführung von Marius von Mayenburgs neuem Stück „Der Hässliche“ in der Schaubühne.

Das Stück, das der Regisseur Benedict Andrews vergeblich zu retten versuchte, hat dabei einen nicht mal uninteressanten Plot – der Konstrukteur Lette, der einen neuen Starkstromstecker entwickelt hat, ist so hässlich, dass sein inkompetenter Assistent die Verkaufsvorstellungen übernehmen soll. So jedenfalls will es der Chef. Lette, schockiert von der Nachricht, befragt seine Gattin, die ihm den Eindruck des Chefs leider bestätigen muss. Ja, Lette ist hässlich. Daher lässt er sich operieren, und dem Schönheitschirurgen gelingt ein Meisterwerk. Lette ist nun so schön, dass ihm alle Verkäufe gelingen – sex sells. Eine wichtige Kundin wird seine Geliebte, ihr Sohn begehrt Lette ebenso und würde alles für ihn tun. Seine Gattin müsse das einsehen, erklärt er ihr, er sei so schön, dass sie nun kein alleiniges Recht mehr an ihm habe.

Doch die Vergesellschaftung seines Gesichts geht weiter, als Lette glaubt. Der Schönheitschirurg hat eine Marktlücke entdeckt und verkauft von nun Lettes neues Gesicht an jeden, der es haben will. Der Assistent wie der Sohn der Geliebten sehen plötzlich aus wie Lette, der – es wird tatsächlich ausgesprochen – „sein Gesicht verliert“. Seine Frau schläft mit seinem Assistenten, warum auch nicht, er „sieht aus wie du“. Zum Schlussbild finden sich die desorientieren Menschen, die allesamt das gleiche Gesicht haben zusammen, sie lieben sich in ihrem lebenden Spiegelbild. „Ich liebe mein Gesicht“, sagt der eine. „Danke“, sagt daraufhin der andere, vom Kompliment gerührt.

Das wäre ein brauchbarer Komödienstoff, doch von Mayenburg weiß nichts damit anzufangen. Die Dialoge sind schülerhaft, manchmal erreichen sie nicht einmal das sprachliche Niveau, das heutzutage in deutschen Comedys üblich ist. Vor allem verlässt sich der Hausautor und Dramaturg der Schaubühne so wenig auf die Schauspieler, dass er sie alles, was sie mit Mimik hätten ausdrücken können, noch einmal explizit aussprechen lässt.

So wird jede Möglichkeit, der Parabel, die ja eh nur auf einem Gedanken fußt, wenigstens Tiefe zu geben, verschenkt. Den vier Schauspielern, die ohne Unterlass auf der Bühne präsent sind, bleibt nichts als Overacting, um wenigstens auf sich aufmerksam zu machen. André Szymanski verkörpert zugleich den Chef wie den Chirurgen, Rafael Stachowiak, den Assistenten und Sohn, Bibiana Beglau Frau und Geliebte, nur Lars Eidinger darf allein Lette spielen. Benedict Andrews versucht durch Tempo die Mängel des Stücks zu überdecken. Er lässt in 75 Minuten die Szenen rasch aufeinander folgen, hetzt die Schauspieler durch den Text. Auch setzt er auf Effekte: So müssen die Schauspieler zwischendurch immer wieder an Seilwinden zum Bühnenhimmel auffahren, und ab und an zerplatzt noch ein Apfel. Doch das ergibt keine Bilder, die frischen Äpfel als Sinnbilder für Schönheit hat man schnell über – und sie werden gegen Ende des Stücks auch einfach vergessen und liegen und hängen, nun ohne Bedeutung, herum.

Der Gag, dass Lars Eidingers Lette vor der – übrigens von allerhand mundgemachten Quietschgeräuschen begleiteten – Operation genauso aussieht wie danach und es praktisch keine Maske gibt, verpufft ebenfalls schnell. Hier will jemand ein bisschen Ionesco spielen, doch leider fehlt dem Autor und wohl auch dem Regisseur die Lust, sich mit dem Stoff länger auseinanderzusetzten, heraus kommt ein gewursteltes Wird-schon-Theater, das viel auf die Schauspieler abwälzt, ihnen aber zugleich, wie gesagt, keinen Spielraum lässt. Heraus kommt ein hektisches Grimassengezerre, das sehr stark an jene unsäglichen Kinderstücke erinnert, bei denen die Schauspieler ihr Publikum für „zu klein“ halten, weswegen alles verdoppelt und verstärkt wird. Doch Kinder wissen auch schon, das Lautstärke keine Spannung ersetzt und Herumgerenne keine Handlung.

JÖRG SUNDERMEIER

Weitere Vorstellungen am 16., 17., 28. und 29. Januar