Neuralgischer Punkt

In der Liga sitzt Torwart Henning Fritz oft auf der Bank. Bei der Handball-WM spielt er indes eine tragende Rolle

BUDAPEST taz ■ In einigen Momenten ist er schon wieder der Alte. Am Sonntag, beim zweiten Test der deutschen Handballnationalmannschaft in Ungarn, lag Torhüter Henning Fritz zu Beginn der zweiten Halbzeit einmal am Boden, aber das war nicht sinnbildlich zu verstehen. Zuvor war er blitzschnell aus dem Tor gesprungen und hatte einen Ball aus nächster Distanz pariert. Noch auf dem Rücken liegend, ballte der 32-Jährige die Fäuste und streckte sie zur Decke der Budapester Stadionhalle, und als er aufstand, strahlten seine dunklen Augen wieder das aus, was die gegnerischen Werfer fürchteten: diese fast unheimliche Mischung aus Präsenz, Aggressivität und Leidenschaft. Bundestrainer Heiner Brand nahm diese Szenen, die erinnerten an Fritz’ große Zeit als Welthandballer, mit Zufriedenheit zur Kenntnis: „Bei Henning ist schon länger ein Aufwärtstrend zu verzeichnen, das hat sich hier bestätigt.“

Noch elf Tage hat der Trainer Zeit, die Mannschaft zu präparieren für das Großereignis; am 19. Januar geht es in Berlin gegen Panamerika-Champion Brasilien in das Eröffnungsspiel der Handball-WM. Brand hat viel Positives beim Ausflug in die Weite der ungarischen Tiefebene registriert. „Es ist ein klarer Aufwärtstrend innerhalb der Mannschaft zu erkennen, vom Kampf her, vom Auftreten her“, findet der 54-jährige Gummersbacher. Brand notierte einen „Leistungsanstieg bei den Leuten, die bisher in der zweiten Reihe standen“, so etwa bei Linksaußen Dominik Klein oder Kreisläufer Sebastian Preiß. Aber für ein Handball-Hochamt, wie eine WM sie darstellt, könne man auf die vielen verletzten Profis, die in Ungarn nicht dabei waren, nicht verzichten: „Wir brauchen sicherlich auch die aus der ersten Reihe.“ Dass Stützen wie Spielgestalter Markus Baur, Rechtsaußen Florian Kehrmann und Holger Glandorf wieder dabei sind, davon geht er fest aus. Für Regisseur Oleg Velyky, der an einem schmerzhaften Sehnenanriss an der Fußsohle leidet, regiert indes für Brand „das Prinzip Hoffnung“ – der Kronauer wird allerfrühestens in die Hauptrunde einsteigen.

Als neuralgischen Punkt hatten Experten freilich auch die Torwartposition gesehen, schließlich war Fritz, der deutsche Stammtorhüter seit 2002, in seinem Verein THW Kiel in der Bundesliga-Hinserie nur dritte Wahl hinter dem französischen Nationalkeeper Thierry Omeyer und dem Schweden Mattias Andersson. Zu den beiden letzten Auswärtsspielen nahm THW-Coach Noka Serdarusic den Mann, der seine vertragliche Option nutzte und bis 2009 in Kiel verlängerte, nicht einmal mehr mit. „Im Sport zählt nur die Leistung“, begründete Serdarusic diese Maßnahme, die Schlagzeilen produzierte hat. Da Fritz sich angeblich geweigert hatte, sich beim Ligaspiel in Magdeburg einwechseln zu lassen, erblickten einige darin jedoch eine disziplinarische Maßnahme.

Jedenfalls sorgt auch Brand sich bisweilen um die Form des Torwarts: „Für ihn ist es wohl besser, wenn wir noch ein paar Spiele mehr in der Vorbereitung hätten“, sagte er in Budapest, als er die beiden ersten Spiele des WM-Jahres bilanzierte. Beunruhigt ist der Trainer nicht mehr. Bereits beim World-Cup im Oktober, einem Vorbereitungsturnier mit fünf Spielen, „ging die Tendenz bei Henning nach oben“.

Glaubt man Andreas Thiel, Torhüter-Legende der 1980er- und 1990er-Jahre, der die Keeper im Trainingslager am Ammersee spezifisch vorbereitet, wird Brand „bei der WM kein Torhüterproblem haben“. Die Kollegen aus der Mannschaft machen sich wenig Sorgen: „Henning hat schließlich schon oft genug gezeigt, wozu er in der Lage ist“, sagt Kapitän Markus Baur, und er will wissen, dass die Degradierung des Keepers in Kiel „nicht nur eine Sache der Leistung“ war.

Fritz selbst wollte sich in Ungarn, da nun die Weltmeisterschaft im Fokus stehe, „nicht mehr zu diesen Dingen im Verein äußern, denn zuletzt wurden meine Äußerungen oft sehr unterschiedlich ausgelegt“. Trainer Heiner Brand gebe ihm, ein Unterschied zum Klub, „das nötige Selbstvertrauen, das ist ein wichtiger Punkt und stärkt mir den Rücken“. Er werde nun die Zeit nutzen, um sich weiter optimal vorzubereiten, und er ist optimistisch für das anstehende Turnier: „Ich bin körperlich gut drauf.“ ERIK EGGERS