Millionen gegen Mubarak

ÄGYPTEN Bei den bislang größten Protesten fordern Oppositionelle Mubaraks Rücktritt

KAIRO afp/dpa/dapd/taz | Es war ein historischer Tag für Ägypten und die arabische Welt. Der von der Opposition ausgerufene „Tag der Million“ übertraf alle Erwartungen. Allein auf dem zentralen Tahrir-Platz in Kairo und seiner Umgebung sollen unterschiedlichen Schätzungen zufolge hunderttausende bis zu zwei Millionen Menschen unterwegs gewesen sein.

Da das Militär einige Verbindungsstraßen abgesperrt hatte, konnten Zehntausende nur mit Mühe in die Innenstadt gelangen, wo die Soldaten jeden Einzelnen kontrollierten. Von Stunde zu Stunde stieg die Zahl der Demonstranten.

Trotz einer Ausgangssperre harrten schon in der Nacht zahlreiche Menschen auf dem Tahrir-Platz aus, der seit der vergangenen Woche zum Mittelpunkt der Proteste geworden ist. Zu Demonstrationen gegen Präsident Husni Mubarak kam es auch in anderen ägyptischen Städten wie Alexandria und Suez in Norden oder Assiut im Süden Kairos.

Die Behörden versuchten, mit Verkehrsblockaden die Demonstrationen zu behindern. Die Armee sperrte die Zugänge zur Hauptstadt Kairo und zu weiteren Städten, darunter auch eine Autobahn zwischen Kairo und Alexandria. Seit Montag liegt auf Geheiß der Behörden der Zugverkehr lahm.

Bis in den Nachmittag hinein war die Stimmung auf dem Tahrir-Platz friedlich. Zu Journalisten sagten Demonstranten, sie würden bleiben, bis Mubarak weg sei. Militärs warnten vor Saboteuren. Zuvor war in der Nähe ein Lastwagen mit bewaffneten Männern aufgehalten worden. Das staatliche Fernsehen rief die Bevölkerung dazu auf, zu Hause zu bleiben.

Der Friedensnobelpreisträger Mohammed al-Baradei erhöhte den Druck auf Mubarak: „Wenn er seine Haut retten will, zieht er sich lieber zurück“, sagte er der britischen Zeitung The Independent. Er wünsche dem Staatschef einen „würdevollen Abgang“, ergänzte er im Fernsehsender al-Hurra. Al-Baradei rief Mubarak im Rundfunksender al-Arabia auf, bis Freitag zurückzutreten. Die Ägypter hätten Freitag zum „Tag des Abgangs“ getauft.

Auch 50 ägyptische Menschenrechtsorganisationen forderten Mubarak zum Rückzug auf. „Präsident Mubarak muss den Willen des ägyptischen Volkes respektieren und sich zurückziehen, um ein Blutbad zu verhindern“, hieß es in einer Erklärung.

Unter dem Druck der Massenproteste hatte Mubarak seine Regierung umgebildet, die Opposition lehnt aber auch das neue Kabinett unter Ministerpräsident Ahmed Schafik ab. Vizepräsident Omar Suleiman bot der Opposition inzwischen Gespräche über eine Verfassungsreform an. Die Opposition erklärte jedoch, sie sei zu keinem Dialog bereit, solange Mubarak an der Macht sei.

Vertreter der Opposition einigten sich am Dienstag bei einem gemeinsamen Treffen auf eine gemeinsame Linie für den Neubeginn. Sie forderten einen Rücktritt von Mubarak, die Auflösung beider Parlamentskammern sowie der Regionalparlamente und eine „Regierung der nationalen Allianz“. „Wir erwarten, dass die Führung uns einen Zeitplan für die Umsetzung dieser Forderungen präsentiert. Erst dann sind wir bereit, einen Dialog mit Vizepräsident Omar Suleiman zu beginnen“, hieß es.

Al-Baradei nahm an dem Treffen nicht teil, aber andere Vertreter seiner „Nationalen Vereinigung für einen Wechsel“ (NAC). Die Muslimbrüder erklärten, sie wollten keine Führungsrolle übernehmen: „Wir wollen dieser Revolution nicht schaden“, sagte der frühere Vorsitzende der größten Oppositionsgruppe, Mohammed Mahdi Akef. Ziel des Oppositionsbündnisses ist der Sturz Mubaraks bis Freitag.

Nach dem Aufruf zu den Massendemonstrationen am Dienstag hatte ein Sprecher der ägyptischen Streitkräfte am Montag im Staatsfernsehen erklärt, dass das Militär nicht auf friedliche Demonstranten schießen werde. Dies war der bisher stärkste Anhaltspunkt dafür, dass die Streitkräfte nicht planen, die Proteste gewaltsam zu beenden. Der Militärsprecher sagte weiter, die Streitkräfte würden die „Legitimität der Forderungen der Bevölkerung“ anerkennen, und versprach, ihre Meinungsfreiheit zu verteidigen. Zugleich forderte er einen Gewaltverzicht seitens der Demonstranten. Sollte Mubarak seinen Rückhalt in den Streitkräften verlieren, dürfte er sich kaum noch an der Macht halten können.

Die USA haben mittlerweile einen Sondergesandten nach Ägypten geschickt, der den Forderungen Washingtons nach demokratischen Reformen mehr Nachdruck verleihen soll. Der pensionierte Diplomat und frühere US-Botschafter am Nil, Frank Wilsner, hält sich seit Montag in Kairo auf. Ein Sprecher des US-Außenministeriums sagte, Wilsner unterhalte enge Beziehungen zu vielen Personen innerhalb und außerhalb der ägyptischen Regierung.

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, der in den vergangenen Jahren im arabischen Raum enormes Ansehen gewonnen hat, forderte Mubarak zum Einlenken auf. In seiner wöchentlichen Ansprache vor dem Parlament riet er Mubarak dazu, der Forderung des Volkes nach demokratischem Wandel umgehend nachzukommen. Niemand könne gegen den Willen des Volkes an der Macht bleiben.