: Weiter werben für Dickmacher
Großbritannien und Skandinavien schützten Kinder vor Spots für Süßes und Fettes. In Deutschland bleibt das Zukunftsmusik. Stattdessen will die Regierung weiter forschen, wer warum zu dick ist
VON SVEN KULKA
Jedes fünfte Kind in Deutschland ist zu dick. Zwei Millionen sind es insgesamt, etwa 800.000 gelten sogar als fettleibig. Verbraucherschützer machen dafür unter anderem die Werbung für fettes Fast Food und süße Schokoriegel verantwortlich. Großbritannien führte daher dieser Tage ein Ampelsystem ein, das ungesunde Lebensmittel kennzeichnet. Außerdem gibt es für solche Produkte vor 21 Uhr keine Werbespots, die besonders auf Kinder abzielen. Doch im Berliner Bundesverbraucherministerium ist man weit entfernt von solchen Schritten.
Unter Experten ist der Einfluss von Werbung auf die Ernährungsgewohnheiten umstritten. Jörg Diehl, Professor für Psychologische Methodenlehre an der Universität Gießen, kam in einer Studie zu dem Schluss, dass es keinen Zusammenhang zwischen Übergewicht und erhöhtem Fernsehkonsum – einschließlich Werbung – gibt. Die Schweden und Norwegen sehen das anders. Dort gibt es seit 1991 ein Verbot für TV-Werbung, die auf Kinder abzielt. England folgt nun und lässt ungesunde Lebensmittel mit einer roten Ampel kennzeichnen. Zunächst freiwillig, doch wenn die Industrie sich nicht bewegen sollte, droht ein Gesetz.
Ob die Menschen allerdings durch solche Schritte schlanker und gesünder werden, ist wissenschaftlich nicht erwiesen. Daher bleibt in Deutschland die Kennzeichnung von Dickmachern in Lebensmittel vorerst Zukunftsmusik. „Es gibt keine guten oder schlechten Lebensmittel, alle sind zugelassen“, sagt Ursula Huber vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Viel wichtiger sei es, herauszufinden, warum manche Kinder und Erwachsene zu dick sind und andere nicht.
Mit dieser Frage hat sich bereits das Robert-Koch-Institut in einer Jugendgesundheitsstudie beschäftigt. Sie zeigte, „dass Kinder häufiger übergewichtig sind, die in sozial benachteiligten Schichten leben, einen Migrationshintergrund haben oder deren Eltern ebenfalls übergewichtig sind“, sagt Studienleiterin Bärbel-Maria Kruth. Auch die Wirtschaft wehrt sich gegen Werbeschränkungen wie in Skandinavien und Großbritannien. Das würde für die Werbebranche Umsatzeinbußen in Millionenhöhe bedeuten, prophezeit Volker Nickel, Geschäftsführer vom Zentralverband der Werbemittelindustrie (ZAW). Auch die Lebensmittelhersteller des Mittelstands würden massive Umsatzeinbußen erleiden, sagt Nickel.
Außerdem würde die Lissabon-Strategie der EU, die mehr Wettbewerb zulassen soll, völlig auf den Kopf gestellt. Denn weniger Werbung führe zu einer Monopolisierung und somit zu weniger Produkten auf dem Markt und zu höheren Preisen.
Zudem hält Nickel das ganze Problem für weniger dramatisch. Die Menschen in Deutschland würden immer älter, was eher auf eine gesündere Ernährung schließen lasse. Daher sollte die Politik bestimmte Lebensmittel nicht stigmatisieren und die Verbraucher als mündige Bürger behandeln. Außerdem würde sowohl das Gesetze gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) als auch das Lebensmittelgesetz irreführende Aussagen zu Produkten und Dienstleistungen längst verbieten, so Volker Nickel.
Doch zumindest der EU scheint dies nicht zu reichen. Um Verbraucher besser zu schützen tritt am 19. Januar die europäische Health-Claim-Verordnung in Kraft. Sie enthält europaweit verbindliche Definitionen für 24 unterschiedliche Nährwertangaben wie „leicht“, „von Natur aus“ oder „reich an“ . Sie verbietet zudem Hinweise, die einen nicht nachweisbaren gesundheitlichen Zusatznutzen versprechen.