Soziale EU-Verfassung

Gysi und Lafontaine fordern neuen Verfassungsvertrag. In allen EU-Staaten soll es darüber Volksentscheide geben

BERLIN taz ■ Die Linksfraktion im Bundestag fordert einen komplett neuen EU-Verfassungsvertrag. Die Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi und Oskar Lafontaine stellten gestern in Berlin ein Memorandum vor, das Eckpunkte für eine „demokratische, freiheitliche, soziale und Frieden sichernde Europäische Union“ enthält. Gysi warf Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und den Regierungschefs anderer Länder „Trickserei“ vor, weil sie die in Frankreich und den Niederlanden abgelehnte Verfassung mit ein paar Korrekturen doch noch in Kraft setzen wollten.

Der jetzige Verfassungsvertrag verfestige lediglich die seit den 80er-Jahren sichtbaren Fehlentwicklungen in der EU. Er setze den „fatalen Kurs des neoliberalen Marktrigorismus sowie der Herrschaft der Wirtschaft über die Politik“ fort. Gysi und Lafontaine forderten, einen neuen Verfassungstext unter Teilnahme der Öffentlichkeit auszuarbeiten. Darüber sollte es dann in allen EU-Staaten am selben Tag und nach denselben Regeln eine Volksabstimmung geben. „Versuche, den abgelehnten Verfassungsvertrag ohne wesentliche Änderungen, Präzisierungen und Ergänzungen erneut zur Abstimmung zu stellen“, schreiben die beiden in ihrem Memorandum, „sind juristisch zweifelhaft, für Demokraten unzulässig und politisch gefährlich.“

Das Memorandum beschreibt die EU als einen politischen, ökonomischen, sozialen und ökologischen Verbund von staatlich organisierten Völkern. Ihre Mitgliedstaaten sollten jedoch einen „Grundbestand souveräner Rechte“ behalten. Die Linksfraktion will eine europäische Verfassung mit verbindlichen, einklagbaren Grundrechten. Das Recht auf menschenwürdige Arbeit, das Recht auf soziale Sicherheit sowie das Recht auf Schutz vor Armut und sozialer Ausgrenzung soll von Verfassung wegen gewährleistet sein. Die Verfassung soll auch das Recht zum Generalstreik enthalten. „Dieser neue Entwurf hat keine Chance, wenn er Lohndumping, Sozialdumping und Steuerdumping fortschreibt“, sagte Lafontaine. Demokratie bedeute dem griechischen Staatsmann Perikles zufolge, dass die Belange der Mehrheit gewahrt würden. Das geschehe derzeit weder in Deutschland noch in der EU.

Die Linksfraktion will auf einer Verfassungskonferenz europäischer Linksparteien im März in Berlin ihre Eckpunkte zur Diskussion stellen. Diese Konferenz läuft parallel zu den Bemühungen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, den Verfassungsvertrag wiederzubeleben. Bis Juni soll dazu ein Fahrplan vorgestellt werden. Spätestens zur Europawahl 2009 soll die Verfassung stehen. JENS KÖNIG