Kurnaz erkennt Peiniger auf Fotos wieder

Die Staatsanwaltschaft Tübingen ermittelt gegen Bundeswehrsoldaten der Eliteeinheit KSK wegen Misshandlung in Afghanistan. Bernhard Docke, Anwalt des Bremer Türken Murat Kurnaz: Untätigkeit der Bundesregierung war schlimmer

AUS FREIBURG CHRISTIAN RATH

Die Staatsanwaltschaft Tübingen ermittelt gegen zwei Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr. Dies gab der Leiter der Tübinger Anklagebehörde, Walter Vollmer, gestern bekannt. Die Soldaten sind verdächtig, den Bremer Türken Murat Kurnaz Anfang Januar in Afghanistan misshandelt zu haben. Kurnaz hat jetzt einen von ihnen auf Lichtbildern erkannt.

Der Vorfall soll sich in einem US-Gefangenenlager in Kandahar zugetragen haben, in dem Kurnaz festgehalten wurde, bevor er nach Guantánamo auf Kuba gebracht wurde. „Herr Kurnaz wurde von zwei US-Soldaten aus dem inneren Kreis des Lagers geführt, weil ihn zwei deutsche Soldaten sprechen wollten“, schildert sein Anwalt Bernhard Docke den Vorfall. „Herr Kurnaz hoffte auf Hilfe, doch dann wurde er nur misshandelt. Er musste sich auf den Rücken legen, die Hände auf dem Rücken gefesselt. Dann zog ihn einer der Soldaten an den Haaren hoch und schlug seinen Kopf auf den Boden. Dabei fragte der Soldat: ‚Weißt du, wer wir sind? Wir sind die deutsche Kraft. KSK.‘ Außerdem wurde Herr Kurnaz getreten“, berichtet Docke. „Die beiden US-Soldaten standen dabei und lachten. Nach einigen Minuten führten sie Herrn Kurnaz in den inneren Kreis des Lagers zurück.“ Im Oktober hatte Kurnaz den Vorfall erstmals dem Stern geschildert.

Ende Dezember wurden Kurnaz von der Staatsanwaltschaft 40 Lichtbilder von Personen in KSK-Uniformen vorgelegt, 14 davon waren als Wachsoldaten in Kandahar eingesetzt. Einen von ihnen hat der Deutsch-Türke identifiziert. Docke: „Er hat den Mann wiedererkannt, der ihn an den Haaren hochzog und ihm dabei direkt ins Gesicht schaute.“

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft hatte dieser Soldat zuvor bereits einen Kontakt mit Kurnaz am Zaun des Lagers, als er zu dem Gefangenen sagte, das er die „falsche Seite“ gewählt hätte. Den zweiten Soldat hat Kurnaz auf den Fotos nicht wiedererkannt. Ermittelt wird nun gegen einen KSK-Mann, mit dem der erkannte Soldat im fraglichen Zeitraum als Doppelstreife unterwegs war. Der Vorwurf lautet in beiden Fällen „gefährliche Körperverletzung im Amt“. Nähere Angaben zu Alter, Dienstgrad und derzeitigem Einsatzort der Soldaten wollte Staatsanwalt Vollmer nicht machen. Bisher bestreiten die beiden den Vorfall. Jetzt steht Aussage gegen Aussage. „Herr Kurnaz macht aber einen sehr glaubwürdigen Eindruck“, sagte Staatsanwalt Vollmer gestern zur taz.

Mittwoch nächste Woche wird sich der Verteidigungsausschuss des Bundestags mit dem Vorfall beschäftigen. In nichtöffentlicher Sitzung werden Kurnaz und sein Anwalt angehört. Hier wird es nur um das Verhalten der KSK in Afghanistan gehen. Einen Tag später werden Kurnaz und Docke dann vom BND-Untersuchungsausschuss befragt. Dort muss die Bundesregierung erläutern, warum sie Kurnaz, der wohl nur zum falschen Zeitpunkt in Pakistan war und gegen ein Kopfgeld an die US-Armee verkauft wurde, Ende 2002 nicht nach Deutschland zurücklassen wollte – obwohl die USA dies angeboten hatte. Erst Kanzlerin Merkel setzte sich ernsthaft für Kurnaz ein und erreichte Ende 2006 seine Freilassung.

„Die Misshandlung in Kandahar war schlimm, der eigentliche Skandal ist jedoch die verweigerte Hilfe der Bundesregierung Ende 2002“, sagt Anwalt Docke, „dies hat meinen Mandanten dreieinhalb Jahre seines Lebens gekostet.“

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