„Russland ist viel abhängiger“

Energie- und GUS-Experte Roland Götz sieht die Öl- und Gas-Versorgung nicht gefährdet. Russland könne seinen Ruf als zuverlässiger Lieferant nicht aufs Spiel setzen

taz: Herr Götz, der Lieferstopp durch die „Druschba“-Pipeline versetzt Deutschland in Sorge. Wie bedrohlich ist die Abhängigkeit von Gas und Öl aus Russland?

Roland Götz: Insgesamt ist Deutschland natürlich stark von ausländischen Energierohstoffen abhängig. Aber die Importe verteilen sich auf verschiedene Länder. Beim Öl kommt ein Drittel aus Russland, ein Drittel aus Europa und ein Drittel aus dem Rest der Welt. Probleme mit einem einzelnen Land können also niemals die gesamte Versorgung bedrohen.

Wir müssen also keine Angst vor der „Energiewaffe“ haben?

Nein, Russland hat überhaupt kein Interesse daran, die Versorgung Europas zu gefährden. Bei dem Streit geht es immer um den Transit durch andere Länder oder die Preise für GUS-Staaten. Obwohl das Verhältnis zwischen Russland und Weißrussland politisch hochkomplex ist, hat man sich beim Thema Gas schnell geeinigt, und ich erwarte das auch beim Öl.

Kann Russland es sich wirtschaftlich überhaupt leisten, die Energielieferungen nach Westeuropa zu gefährden?

Auf keinen Fall. 80 Prozent der russischen Rohstoffe gehen nach Westeuropa. Insofern ist Russland wirtschaftlich von den Exporten viel abhängiger als der Westen von den Importen. Der Streit mit der Ukraine und Weißrussland schadet seinem angestrebten Image als verlässliche Energiegroßmacht und widerspricht damit diamentral den russischen Interessen.

Welche Rolle spielen politische Ziele? Versucht Russland, durch seine Rolle als Energielieferant die ehemaligen GUS-Staaten enger an sich binden?

Die Energiewirtschaft in Russland ist entgegen einer verbreiteten Wahrnehmung weitgehend privat – beim Öl zu drei Vierteln, beim Gas zur Hälfte. Darum stehen ökonomische Interessen im Mittelpunkt. Die Konzerne wollen die Nachbarstaaten nicht mehr subventionieren und versuchen einfach, die Preise bis auf das Weltmarktniveau zu erhöhen. Natürlich hat das politische Nebenwirkungen, aber ich würde nicht von einer direkten staatlichen Politik sprechen.

Der Kreml zieht nicht im Hintergrund die Fäden?

Nein. Es gibt zwar einen engen Zusammenhang, aber das Machtverhältnis ist durchaus ausgeglichen. Die großen Konzerne haben auch einen erheblichen Einfluss auf die Politik des Kreml .

Welche Rolle spielt der Versuch der russischen Öl- und Gaskonzerne, ihren Einfluss auf die Leitungen in den Transit-Ländern auszudehnen?

Da gibt es einen engen Zusammenhang. Um den Transit zu sichern, möchte Russland die Transitsystem am liebsten besitzen oder zumindest einen großen Einfluss haben. An der Gaspipeline durch Weißrussland hat sich Gazprom ja schon die Hälfte vertraglich gesichert.

Wie sollten Deutschland und Westeuropa politisch auf die Situation reagieren?

Auf jeden Fall gelassen bleiben. Eine akute Gefährdung ist nicht vorhanden. Langfristig sollte versucht werden, Russland zu überzeugen, den Energiecharta-Vertrag zu ratifizieren. Dieser internationale Vertrag, der 1998 in Kraft getreten ist, legt internationale Regeln für den Energiesektor fest. Damit gäbe es eine Grundlage, Auseinandersetzungen auf zivilisierte Weise zu regeln. INTERVIEW: M. KREUTZFELDT