Eigenständige Küche

KULTURTRANSFER Eine Ausstellung in der ifa-Galerie Berlin macht uns mit zeitgenössischer Kunst aus Chile und Peru vertraut. Karge, aber wohlüberlegte Formen sind bestimmend

Aus westlicher Perspektive verliert man Chile und Peru hinter den Anden aus den Augen

VON BRIGITTE WERNEBURG

Da hallt noch der Satz „bei Gonzalez-Torres spürt man den Einfluss Mittel- und Südamerikas, wo die Abstraktion, die kühne Setzung des Werks im Raum ohne viel Ideologie rezipiert worden ist, ja geradezu zur Volkskunst gehört“ aus der Besprechung zur Frankfurter Gonzalez-Torres-Ausstellung nach, da stehe ich schon vor der Diaprojektion von Armando Andrade Tudela und sehe Lastwagen über staubige Straßen ziehen – und alle ihre Aufbauten sind mit abstrakten geometrischen Mustern bemalt, wie wir sie von der Nachkriegsmoderne in unseren Museen der Gegenwartskunst kennen.

Der 1975 in Lima Geborene gehört zu den neun Künstlern der Ausstellung „Cut & Mix. Kulturelle Aneignung und künstlerische Behauptung“, die in der ifa-Galerie Berlin zeitgenössische Kunst aus Peru und Chile vorstellt. Die Schau selbst ist Teil der Ausstellungsreihe „Kulturtransfers“. Sie thematisiert den wechselseitigen Austausch zwischen Zentrum und Peripherie. Im Falle von Tudela ist das Zentrum einmal die westliche Kunstwelt, die die südamerikanische Ausprägung des Modernismus „Tropische Moderne“ nennt, das andere Mal der Großraum Lima als Handels- und Produktionszentrum, von wo aus die Moderne nicht nur in Form von Gütern, sondern auch als Design – das kein Markenlogo, sondern allgemein populäre Dekoration ist – in die ländlichen Regionen der Peripherie reist.

Die Kunst, die „Cut & Mix“ zeigt, entsteht in der Stadt, im Zentrum; nicht nur in Lima oder Santiago de Chile, sondern auch in Zentren der internationalen Kunstwelt wie Mexiko-Stadt oder Berlin. Mangelhafte Infrastrukturen, vor allem in Peru, wo etwa die Versuche, 1998 eine Bienal Iberoamericana einzuführen, 2001 abgebrochen wurden, fördern die Migration der Künstler. Für die, die bleiben, ist der Zusammenschluss in Kollektive ein Weg, sich gegen den „lokalen politischen Konsens“ zu behaupten, wie der Kurator Rodrigo Quijano in seinem Katalogbeitrag feststellt. Nach Jahren der Isolation – bedingt durch den Bürgerkrieg und das nachfolgende Regime Alberto Fujimoris (1990–2000) – stehen die Künstler wieder im internationalen Austausch. Im kulturell und wirtschaftlich weit besser gestellten Chile wiederum drohen die Künstler paradoxerweise zu vereinzeln, so die Kuratorin Camila Marambo gegenüber Eva-Christina Meier, die „Cut & Mix“ für die ifa-Galerie kuratiert hat.

In Santiago de Chile ist derzeit ein Boom von neugegründeten Kunsthochschulen zu verzeichnen, gleichzeitig fehlen Institutionen, die den unzähligen Absolventen der Akademien Rückhalt böten. In der Folge sucht jeder eigene Wege zum Erfolg. Was also verbindet die so unterschiedlich gelagerten Kunstszenen von Chile und Peru? Einerseits, dass wir, aus westlicher Perspektive, hinter den Anden beide Länder aus den Augen verlieren, sagt Eva-Christina Meier, andererseits die ähnliche künstlerische Methode und Herangehensweise, mit der „Fremdes“, aus der Kolonialzeit, von Einwanderung und Globalisierung herrührendes Material einverleibt, gegengeschnitten und montiert wird.

So wie es in David Zink Yis Videoinstallation „Yi Yen Wu gewidmet“ (2000) exemplarisch wird. Drei Protagonisten geben hier Einblick in ihre Sozialisation, während sie Nudelteig auswälzen, um daraus Teigtaschen zu formen. In dieser Küche gerät erst einmal einiges durcheinander, bevor sie sich neu und eigenständig formiert. Das wird in den Erzählungen aus dem Off über die chinesischen, afrikanischen und indigenen Einflüsse auf die Essgewohnheiten deutlich, die die strikten Einstellungen auf die Kochvorgänge begleiten.

Auch Sandra Nakamura, die eine Bodenecke der ifa-Galerie mit Yen-Münzen so auslegt, dass es ausschaut wie der geharkte Kies in einem Zen-Garten, hat vielfältige ethnische familiäre Wurzeln. Gewiss ein Grund, warum sie in ihren temporären Arbeiten im öffentlichen Raum Fragen zu Teilhabe, Zugehörigkeit und Besitz interessieren. Die 32.000 Yen-Münzen ihres japanischen Gartens entsprechen übrigens der Monatsmiete während ihres Aufenthalts in Kitakyushu, wo sie die Arbeit erstmals realisierte.

Auffällig ist, dass man nirgendwo auf die schale Ironie eines überflüssigen Gimmicks trifft. Ob der Zyklus von Zeichnungen von Gilda Mantilla und Raimond Chaves, ob die Installationen von José Carlos Martinat, Enrique Myorga oder Mario Navarro, ob der Architekturmodellbau von Leonardo Portus: sämtliche Arbeiten kennzeichnet eine karge, wohlüberlegte, ideenreiche Form. Das hätte man gerne nach Berlin, als Chiffre für das Zentrum, transferiert.

■ Bis 17. April, ifa-Galerie, Berlin. 6. Mai bis 3. Juli, ifa-Galerie, Stuttgart. Katalog (Kerber Verlag) 16,50 Euro