Live dabei – im Kino

APPLAUS Die Live-Übertragung von Sport- oder Kulturereignissen auf Kinoleinwände verbreitet sich immer mehr. Das Hamburger Savoy etwa füllt so regelmäßig seine Plätze

Seit den Zeiten, in denen Theateraufführungen statisch abgefilmt wurden, hat sich viel verändert

VON WILFRIED HIPPEN

Nach der Aufführung wird geklatscht. Und das, obwohl die Schauspieler sich im fernen London für den Applaus verneigen oder das Stück als Aufzeichnung von der Festplatte kommt.

Dass etwas direkt vor den Augen des Zuschauers vorgeführt wird, ist die Grunderfahrung eines Theaterbesuchs. Durch die digitale Projektion ist es inzwischen möglich, Live-Übertragungen in sehr guter Bild- und Tonqualität in Kinos zu zeigen. Angeboten werden Sportveranstaltungen wie die Fußball-Weltmeisterschaft, deren Spiele beispielsweise im Cinemaxx am Dammtor in Hamburg gezeigt werden. Ferner gibt es Pop-Konzerte von David Bowie, Robby Williams oder den Toten Hosen, Opernaufführungen der „Metropolitan Opera“ und Ballettinszenierungen aus dem Moskauer Bolschoi Theater.

Schon im Jahr 2005, als noch längst nicht alle Kinos digital umgerüstet waren, wurden berühmte Opernaufführungen überraschend ein Erfolg an den Kassen. Damals wurden die 15 Stunden der Bayreuther Inszenierung des „Ring der Nibelungen“ von Patrice Chéreau gezeigt. Bei den sonntäglichen Vorstellungen konnte man vormittags Menschenschlangen vor den Bremer Kinos Atlantis und Schauburg sehen.

Das Theater kam dazu, als es möglich wurde, Auftritte über eine Satellitenschüssel in Echtzeit in die Kinos zu übertragen. Das britische „National Theater“ im Londoner Westend nutzt die neue Technologie so konsequent und professionell wie kaum eine andere Institution. Jede größere Inszenierung des Hauses wird inzwischen in 250 Kinos in Großbritannien und mehr als 500 Kinos international live gezeigt. Kein Wunder also, wenn das Publikum dem uralten Ritual des Applaudierens folgt, auch wenn es ein wenig absurd wirkt, wenn einer Kinoleinwand applaudiert wird.

In Norddeutschland zeigen mehrere Multiplexe und das Savoy in Hamburg die Produktionen des National Theatres. So wird heute Abend in den Cinemaxxen in Bremen, Kiel und am Dammtor in Hamburg eine Inszenierung der Boulevardkomödie „A Small Family Business“ von Alan Ayckbourn gezeigt, allerdings nicht live, sondern als Aufzeichnung von der Festplatte. Aufgezeichnet wurde die Aufführung vor zwei Wochen, Bild und Ton sind identisch mit dem „Original“, sogar die Pause wird in Echtzeit vorgeführt.

Und dennoch ist es eine andere Erfahrung. Es fehlt die „Aura“ des gemeinsam erlebten Moments. Aber davon abgesehen ist es natürlich sehr attraktiv, eine hochgelobte britische Theateraufführung bequem in einem heimischen Kino zu sehen. Diese Aufführungen werden so gut besucht, dass das Savoy seit Mitte Juni fast das gesamte Repertoire des National Theaters vorführt.

Das von Hans-Joachim Flebbe restaurierte Hamburger Savoy wurde im Juni letzten Jahres eröffnet und spielt seit dem Originalfassungen ohne Untertitel. So ist es ein Treffpunkt für das englischsprachige Publikum der Stadt geworden. Laut dem Theaterleiter Gary Rohweder ist das Kino mit 284 Sitzplätzen bei einem Eintrittspreis von 17,50 Euro oft ausverkauft. Wichtig für den Erfolg seien bekannte Namen. So würde etwa bei der Vorführung von Danny Boyles „Frankenstein“ mit Benedict Cumberbatch in der Titelrolle am kommenden Montag das Haus sicher wieder voll werden.

Heute Abend wird es voraussichtlich auch an der Abendkasse noch Plätze geben für die Bühnenadaption von Mark Haddons Bestseller „The Curious Incident Of The Dog in the Night-Time“. Mit der Regisseurin Marianne Elliot und dem jungen Hauptdarsteller Matthew Barker sind keine prominenten Namen auf den Plakaten, dabei ist diese Inszenierung eine Entdeckung. Der Roman ist aus der Perspektive eines autistischen Teenagers geschrieben, und es ist beeindruckend, wie es den Theatermachern gelungen ist, dies auf der Bühne zu realisieren.

Das Bühnenbild besteht fast ausschließlich aus Diagrammen, Zeichnungen, Zahlen und Buchstaben, denn der Protagonist kann nur verarbeiten, was sich in logischen Zusammenhängen und Zeichen darstellen lässt. Durch diese Abstraktion wird dem Zuschauer immer bewusst gemacht, wie beschränkt, aber auch in sich stimmig die Weltsicht des Protagonisten ist.

Am 20. Juli dürften dagegen weltweit mehr Zuschauer live eine Theatervorstellung erleben, als je zuvor. Denn dann werden die fünf noch lebenden Monty Pythons John Cleese, Michael Palin, Eric Idle, Terry Jones und Terry Gilliam über vierzig Jahre nach ihrem letzten Auftritt auf einer britischen Bühne ihre Show „Monty Python – Live (mostly), One Down, Five to Go“ in London präsentieren.

Der Auftritt wird weltweit in 1.500 Kinos übertragen, darunter in das Savoy und Cinemaxx-Dammtor in Hamburg sowie die Cinemaxxe in Hannover, Bremen, Kiel, Oldenburg und Wolfsburg. Vor einigen Jahren wäre solch ein spektakulärer Auftritt noch live im Fernsehen übertragen worden, heute rechnet es sich offensichtlich für die Veranstalter, ihn über die großen Kinoketten zu vermarkten. Und da die Auftritte von Comedians immer besser vor einem großen Publikum funktionieren – das Lachen wirkt dann ansteckend –, ist dies auch das passende Medium dafür.

Seit den Zeiten, in denen Theateraufführungen aus der Guckkastenperspektive statisch abgefilmt wurden, hat sich viel verändert. Mit bis zu fünf Kameras, die nach einer genau durchkalkulierten Choreografie bewegt werden und aus möglichst originellen Perspektiven aufnehmen, sind diese Filme mehr als nur abgefilmte Theaterstücke. Tatsächlich kann man die Vorführung im Kino oft besser sehen als im Theater.

Fußball WM Viertelfinale: Fr und Sa, unter anderem Cinemaxx-Kinos, Hamburg, Bremen, Hannover, Kiel; „The Curious Incident Of The Dog in the Night-Time“: 3. 7., 20 Uhr, Savoy, Hamburg