Tagebuch der Geisterstunde

Die Uhr schlägt zwölf. Für viele Menschen ist dieses Signal, sofern es zur Mitternacht ertönt – und sie sich überhaupt noch in der Nähe einer Uhr mit Glockenschlag aufhalten –, ein Hinweis darauf, dass es dringend Zeit wird, ins Bett zu gehen. Weniger des Aberglaubens wegen als zur Regeneration der Produktivkräfte. Doch die Stunde der Geister, die am Ende des Tages traditionell eingeläutet wird, ist, wenn man trotz herannahender Schläfrigkeit den Kopf noch ein wenig wach hält, ein Moment des Übergangs, in dem sich sich die Wahrnehmung zu verändern beginnt, die Dinge nach und nach ihre Konturen verlieren und alle Sinne langsam heruntergedimmt werden.

Für diese Momente, zumindest aber während dieser Momente, ist die Platte „Ghosthour Diary“ entstanden, das Debütalbum von Schloss Mirabell. Hinter dem schönen Namen verbirgt sich die Musikerin, Musiktherapeutin und Neuromusikologin Florina Speth, die als in Österreich ausgebildete Cellistin mit Erfahrung in Streichquartett und Orchester irgendwann ihr Interesse an elektronischer Musik entdeckte.

Ihr Tagebuch der Geisterstunde versucht in 16 Skizzen, einige davon keine Minute lang, diese Stimmungen einzufangen, die sich nicht adäquat benennen lassen, dafür aber in Musik nachempfunden werden können. Speth arbeitet dazu mit einer geringen Zahl verschiedener Elemente, vermischt traumartig vor sich hin pendelnde elektronisch-verwaschene Melodiesprengsel mit Celloklängen oder ihrem eigenen Gesang.

In ihrer Musik geht es Speth zudem um die Weiterentwicklung des Verhältnisses von Mensch und Maschine, sie nutzt Robotik und Neurowissenschaften für neue Formen der Interaktivität. Zu Saiteninstrument und Computer gesellen sich bei ihr mitunter auch Roboter – mit Apparaten dieser Art erforscht sie als Doktorandin an der Humboldt-Universität ansonsten neue Musiktherapie-Methoden.

„Ghosthour Diary“ verzaubert mit durchgehend zarter Musik, die das Jenseitige ohne Gruseleffekte inszeniert, dafür umso stärker auf den ambivalenten Charakter dieses Zwischenreichs abzielt, statt Gefahr heraufzubeschwören, einen eher die überirdischen Aspekte der Gespensterwelt erleben lässt. „Geister sind siderisch“, haben also etwas mit dem Einfluss der Gestirne auf den Menschen zu tun, hieß es bei der britischen Band Coil, die etwas von diesen Dingen zu verstehen schien. Bei Schloss Mirabell meint man zu ahnen, was das vielleicht bedeuten könnte.

TIM CASPAR BOEHME

■ Schloss Mirabell: „Ghosthour Diary“ (Monotype)